So., 19.10.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Indien: Polizisten foltern Verdächtige
"Die Polizisten stießen mich. Ich stürzte zu Boden. Dann fielen sie über mich her und verprügelten mich. Ich verlor das Bewusstsein. Als ich meine Kleider ausziehen musste, betete ich um Hilfe. Aber niemand half. Bitte sagt mir, warum muss ich diese Qualen erleiden?" Soni Suri schrieb diese Zeilen im Gefängnis. Sie wollte erzählen, was die Polizei ihr antat. Sie hat die Haft schwer verletzt überlebt. Die Polizisten haben sie geschlagen. Sie folterten sie mit Elektroschocks und missbrauchten sie sexuell. Später fanden Ärzte Steine im Körper von Soni.
Peiniger sind nicht belangt wordee
Würde ich einen dieser Polizisten treffen, könnte ich ihn töten. Sie laufen immer noch frei herum. Nach allem, was sie mir angetan haben. Sie haben ein tolles Leben. Ich muss um jedes Stück Brot kämpfen", sagt Soni. Seit einem Jahr ist sie frei - auf Kaution. Ihr Telefon wird abgehört, glaubt sie. Ihre Tochter ist neun und geht nicht in die Schule. Aus Angst vor der Polizei. Sie weicht ihrer Mutter nicht von der Seite. "Wenn ich nicht zu Hause bin, ruft sie mich an. Sie fragt mich, ob es mir gut geht. Sie will genau wissen, ob die Polizei mir wieder etwas angetan hat", erzählt Soni.
Soni Suri nimmt uns mit in ihr Dorf. Sie riskiert viel, sich mit uns zu zeigen. Der Vater lebt in Angst, die Mutter starb als Soni im Gefängnis saß. Ihr Ehemann wurde auch gefoltert und lebt nicht mehr. Soni wird ständig beobachtet. Es dauerte keine fünf Minuten, da steht plötzlich ein Polizist vor dem Haus.
Polizei verhaftet massenhaft - und foltert
Soni lebt im Bundesstaat Chhatisgarh, Mitte in Indien. Immer wieder gibt es hier Anschläge von Maoisten, radikalen Linke. Die Polizei steht unter Druck. Polizisten die viele Menschen verhaften, werden befördert. Da wird nicht genau hingeschaut, lieber geprügelt. So gestehen die Menschen, Taten, die sie nicht begangen haben oder beschuldigen andere.
Soni weigerte sich, das zu tun. Sieben Straftaten hängte die Polizei ihr an. Sechsmal wurde sie schon entlastet. Ihr Bruder ist eingeschüchtert. Nur Soni traut sich noch zu kämpfen. "Ich habe keine Angst vor der Polizei. Wenn sie mich unter Druck setzen, bekommen sie Probleme. Ehrlich gesagt, die sollten mich fürchten." Weil Soni nicht schweigt, ist ihr Fall mittlerweile in Indien bekannt. Das schützt sie. Aber: Die meisten Fälle werden nie öffentlich.
Wenn die Polizei zuschlägt, wird das oft gar nicht als Rechtsbruch wahrgenommen. So normal ist das für viele Menschen. Die meisten Opfer unterschreiben alles. Und die Polizei hat wieder einen Fall gelöst. Das ist nicht nur ein lokales Problem. Das Internet ist voller Folterszenen - es ist allerdings schwer zu prüfen, wer die Videos gedreht hat.
Ex-Polizist Satwant Singh kämpft für Aufklärung
Wir zeigen sie Satwant Singh. Er lebt im Punjab in Nordindien. Die Bilder kommen ihm bekannt vor. Er sagt, sie seien noch harmlos. Er war selbst mal Polizist. "Diese Folter ist völlig üblich. Die halten sie fest und schlagen sie. Das ist doch nichts. Es passieren noch viel schlimmere Dinge: Elektroschocks in die Ohren oder an den Genitalien."
Satwant Singh trug einmal stolz die Uniform. Heute ist er nicht mehr Polizist. "Einen jungen Mann legten sie mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Sie klemmten die Beine fest und zogen ihn dann an den Armen immer wieder nach oben, bis weit in die Nacht. Er hatte schwere innerliche Verletzungen, seine Knochen waren gebrochen. Der Mann ist gestorben. Sie haben dann seinen Körper aufgeschnitten und mit Steinen gefüllt und haben die Leiche im Wasser versenkt."
Satwant weigerte sich, mitzumachen. Er wurde dann selbst geschlagen und aus dem Polizeidienst entlassen. Für die Familie war das eine schwere Zeit, doch Satwant konnte einfach nicht mehr schweigen. "Hätte ich auch gefoltert, hätte ich heute eine Menge Sterne auf der Schulter. Ich wäre ein hohes Tier", sagt Satwnat. Viele Fälle hat er gesammelt und der Justiz übergeben. Nach 20 Jahren wird er endlich vor dem Verfassungsgericht angehört.
Schweigegeld für Familien
Je länger wir recherchieren, umso mehr erschütternde Geschichten erfahren wir. Harjeet Singh hat sich erhängt - aus Angst, dass sie Polizei wieder zuschlägt. Er war gerade 16 Jahre alt und wurde wegen Diebstahls festgenommen. Die Eltern sind verzweifelt, weil sie den Selbstmord nicht verhindern konnten. Der Arzt brachte ihnen den Obduktionsbericht. Er zeigt ganz klar, dass ihr Sohn gefoltert wurde Sie halten den Beweis in den Händen. Verletzungen, Schnitte an den Beinen alles ist aufgelistet. Aber sie wollen nichts gegen die Polizei unternehmen. Der Grund: Die Polizei war da und zahlte 250.000 Rupien, gut 4.000 Euro, für den toten Sohn. Der Deal: Die Eltern schweigen. Davon wissen auch die Nachbarn.
Die Polizei will nicht darüber reden. Auch wir bekommen kein Interview. Niemand soll erfahren, dass im demokratischen Indien gefoltert wird.
Autor: Gábor Halász , ARD-Studio Neu Delhi
Stand: 05.01.2015 09:21 Uhr
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