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Nicaragua: Flucht aus dem "Nordkorea Zentralamerikas"

Nicaragua: Flucht aus dem "Nordkorea Südamerikas" | Bild: NDR

Wenn Wilfredo Miranda Heimweh hat, dann geht er essen. Spezialitäten aus Nicaragua gibt es in San José an jeder Ecke – das ist aber auch das Einzige, was ihm von seiner Heimat geblieben ist. "Die Regierung hat mir die Staatsbürgerschaft entzogen, mich als Volksverräter gebrandmarkt und alles, was ich besessen habe, konfisziert. Und ich bin nicht der Einzige. Ortega und seine Frau haben Nicaragua verwandelt, in das Nordkorea von Zentralamerika." Miranda arbeitet als Journalist. Vor sechs Jahren deckte er auf, dass das Ortega-Regime bei Demonstrationen unbewaffnete Dissidenten erschießen ließ. Als er seine Recherchen veröffentlichte, wurde der 33-Jährige bedroht und musste fliehen. Seitdem trägt er seine Heimat als Tattoo nur noch auf der Haut. "Das ist schlimmer als unter Stalin. Sie löschen dich aus allen Registern, vernichten jeden Hinweis darauf, dass Du je existiert hast. Da geht es nicht allein um juristische Verfolgung, da geht es um mehr. Das ist pervers."

Tausende Nicaraguaner nach Costa Rica geflohen

 Nicht nur dem Journalisten hat das Regime die Bürgerrechte abgesprochen. Tausende sind in den vergangenen Jahren nach Costa Rica geflohen. Viele wurden gebrandmarkt als Volksverräter. Zum Beispiel Sofia Montenegro. Obwohl sie früher an der Seite von Daniel Ortega kämpfte, also selbst Sandinistin war, gab es für sie kein Pardon. Als sie 2018 das Vorgehen des Regimes gegen Dissidenten kritisierte, wurde sie erst unter Hausarrest gestellt. Dann erhielt sie den Hinweis, ihre Verhaftung stehe kurz bevor. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließ sie das Land. "Es war schrecklich. Ich bin 71 Jahre alt und alles, was ich mir ein ganzes Leben lang aufgebaut hatte, mein Haus, meine Rente, alles war auf einmal weg, in einer Sekunde. Ich bin gegangen mit nichts als dem, was ich am Leib trug."
Das gleiche hat die frühere Parlaments-Abgeordnete Edípcia Dubón erlebt. An den Schock erinnert sie sich bis heute. "Das war schlimm. Ich weiß noch, ich kam hier an und dachte: Was mache ich hier? Was soll machen, in diesem Land?"

Sie haben alles verloren. Ihre Heimat, ihren Besitz, den Kontakt zu ihren Familien. Und dass dieser Alptraum endet, das wagen sie nicht zu hoffen. Denn, da sind sich hier alle einig: in Nicaragua regiert der Wahnsinn. "Man muss das klar sagen, wir haben hier ein paar Psychopathen an der Macht. Die sind krank, völlig gestört. Anders kann man das nicht erklären. Besonders schlimm ist es seit dem Massaker von 2018", sagt Sofia Montenegro.

Schwieriges Leben im Exil

In einem Raum sitzen Menschen zusammen.
Die Exilanten sind sich einig: In Nicaragua regiert der Wahnsinn. | Bild: NDR

Aber es sind nicht nur die seelischen Schmerzen, die das Leben im Exil schwer machen. Auch finanziell ist es nicht einfach. Denn Costa Rica bietet viel – aber es ist schwierig, hier über die Runden zu kommen. "Alles ist sehr teuer, die Lebenshaltungskosten sind enorm hoch. Und wenn Du dann nicht viel verdienst, hast Du wirklich ein Problem", erklärt Wilfredo Miranda.

Um ihr Leben zu finanzieren, müssen viele Exilanten, den Job wechseln. Luciano García zum Beispiel war in Nicaragua ein erfolgreicher Geschäftsmann. In Costa Ricas Hauptstadt San José verkauft er Geflügel auf dem Markt. "Ich hatte keine Ahnung von Hähnchen. Außer, wie man es isst vielleicht. Aber dann habe ich mich eingearbeitet. Und schau: Jetzt ist es mein Job."

Und so wie Luciano García geht es vielen, die Nicaragua aus politischen Gründen verlassen mussten. Roberto Mora zum Beispiel ist eigentlich Journalist. Aber vom Schreiben allein kann er seine Familie nicht ernähren. Deshalb verdingt er sich als Uber-Fahrer. Tag und Nacht. "Klar würde ich lieber in dem Beruf arbeiten, den ich gelernt habe. Aber ich bin auch froh, dass ich das hier machen kann. Denn ohne das, könnten wir in Costa Rica nicht überleben."

Viele haben Folter erfahren

Das Leben im Exil verlangt ihnen viel ab. Aber immer noch besser, als das, was Dissidenten in ihrer Heimat erwartet: Gefängnis, und immer öfter auch: Folter. Folter, die diese Menschen am eigenen Leib erfahren haben. Fast alle hier waren in Nicaragua in Haft, als politische Gefangene. Vor zwei Jahren wurden sie vom Regime ausgebürgert und abgeschoben. Seitdem versuchen sie das Erlebte zu verarbeiten, unter anderem in Selbsthilfegruppen. "Die meisten leiden unter posttraumatischer Belastungsstörung. Auch Depressionen sind weit verbreitet und Panikattacken", erklärt Psychologin Ruth Quirós. Gemeinsam gegen die Angst: in Gesprächen und Rollenspielen. Das gibt Kraft – und die Hoffnung, dass doch irgendwann alles anders wird. "Ich glaube daran, dass wir zurückkehren werden. Und dann will ich gesund sein an Körper und Seele", sagt Evelin Pinto.

Zurück nach Hause will auch Wilfredo Miranda. Bis es soweit ist, begnügt der Journalist sich mit Essen und Musik aus der Heimat. Auch in diesem Lied geht es um die Hoffnung, dass Nicaragua sich vom Nordkorea Lateinamerikas in ein freies Land verwandelt. Und alle wieder aufnimmt, die es in den vergangenen Jahren verstoßen hat.

Autorin: Natalie Akbari-Haddad, ARD Studio Mexiko

Stand: 13.04.2025 16:28 Uhr

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