Mo., 15.06.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ägypten: Mit dem Motorroller in die Freiheit
Rushhour in Alexandria und mittendrin eine Frau auf dem Motorroller. Das ist nicht verboten, aber für ägyptische Männer sehr gewöhnungsbedürftig. Schaimaa Ali ignoriert diese Konvention seit drei Jahren – auch weil der Roller sie am schnellsten ans Ziel bringt. Sie hat Englisch studiert und leitet einen Kindergarten. Ihre Mittel sind begrenzt, aber das Ziel ist ehrgeizig: sie will eine neue Mädchengeneration erziehen, selbstbewusst und eigenständig: "Ich möchte, dass die Mädchen in meinem Kindergarten anders werden, als wir es sind. Sie sollen wissen, dass sie als Mädchen das Recht haben, zu machen, was sie wollen, ohne Fesseln. Sie sollen ihren Platz in der Gesellschaft kennen, wir machen hier keinen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen."
Seit Schaimaa klein ist, geben Männer den Ton an. Auch im Straßenverkehr. Noch immer fahren Frauen hinten, im Damensitz. Selber fahren schickt sich nicht. Zwei Frauen auf dem Roller sind selten, aber es gibt sie. Und Schaimaa Ali sorgt dafür, dass es immer mehr werden – mit ihrer Rollerfahrschule Let's Scoot. Seit einem Jahr unterrichtet sie nach der Arbeit junge Frauen wie Nayera, damit auch sie sich die Fahrt zutrauen.
Das sicherste Verkehrsmittel für Frauen
"Sowas ist hier völlig unüblich. Deshalb hat sich meine Familie am Anfang gewundert. Aber inzwischen sind sie überzeugt, dass wir diese Idee publik machen sollten. Denn wenn ich mit dem Auto fahre, bleiben vier Plätze leer. Das ist doch unlogisch. Da gibt es bessere Verkehrsmittel", sagt Nayera Ragab.
Umgerechnet 50 Euro zahlt Nayera, damit sie dieses bessere Verkehrsmittel fahren kann. Schaimaa legt viel Wert auf Sicherheit, obwohl noch nicht einmal der Helm vorgeschrieben ist in Ägypten. Das Argument der Fahrlehrerin: Wo sich keiner an Verkehrsregeln hält, müssen Rollerfahrerinnen sich selbst schützen.Trotz der Gefahr im Straßenverkehr, hält Schaimaa das Zweirad für das sicherste Verkehrsmittel, gerade für Frauen: "Wir Frauen haben keine Zeit, unser halbes Leben im Auto oder im Taxi zu vertrödeln. Und wenn du zu Fuß gehst, wirst du angemacht. Der Roller sorgt dafür, dass die Männer sich dir gar nicht erst nähern."
Wann immer Frauen aus dem Haus gehen, sind sie sexueller Belästigung ausgesetzt. Männliche Blicke und Sprüche begleiten sie auf dem Weg zur Uni oder zur Arbeit. Eine Frau, die sich wehrt, erregt Aufsehen. Viele bleiben daher still, oder weichen in separate Frauenwagen aus.
Emanzipation auf Rädern
Ganz anders die Emanzipation auf Rädern, wie Schaima Ali sie fordert. Anfang Mai hat sie Bikergruppen aus Alexandria und sogar aus Kairo auf der berühmten Corniche zusammengetrommelt, um zu demonstrieren, dass Frauen auf Rollern zum Straßenbild gehören. Die Zweiradaktivistin musste hierfür eine Erlaubnis des Provinzgouverneurs einholen. Dass sie die bekommen hat, ist nicht selbstverständlich, in diesem Staat, der jede Art von Zivilgesellschaft möglichst klein hält.
Scheima Alis Vater, ehemals Profifußballer und Schiedsrichter, ist stolz auf seine Tochter: "Was ist denn das Problem, wenn eine Frau Mofa fährt? Im Gegenteil, ich sehe das als Schutz für ein Mädchen. Wenn sie Taxi fährt, kann der Fahrer die Situation ausnutzen", sagt Ali Hussain.
Allerdings reagieren nicht alle so tolerant wie der Vater: "Leute, die mir sehr nahe stehen haben gesagt, wenn du Roller fährst, findest du niemanden mehr, der dich heiraten will. Warum machst du das? Aber ich habe ihnen nicht geglaubt", erzählt Schaimaa Ali.
Ein Gefühl der Freiheit
Die Zeit hat Schaima recht gegeben: Seit einem Jahr ist sie verlobt, mit einem Mann aus ihrer Rollerclique. Rollerfahren gibt Schaima ein Gefühl der Freiheit. Und weil sie das nicht nur für sich erreichen will, erklärt sie jede Fahrt zu einer kleinen Demonstration für Frauenrechte.
Autorin: Esther Saoub, ARD-Studio Kairo
Stand: 05.07.2019 10:42 Uhr
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