Mo., 22.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Eritrea: Hoffnung auf Frieden
Vor wenigen Wochen haben Äthiopien und Eritrea einen Friedensvertrag unterzeichnet und damit einen jahrzehntelangen Krieg beendet. Ein Abkommen, in das viele Menschen in beiden Ländern große Hoffnungen setzen.
Rund um Massawa wurde heftig um die Unabhängigkeit gekämpft. Davon zeugen noch immer viele Ruinen – und ein Panzerdenkmal. Dieser Tage wird es zur Touristenattraktion. Der Eritreer Samuel Habte und sein Bruder sind extra aus der Hauptstadt gekommen, um es ihren äthiopischen Verwandten zu zeigen. Zum ersten Mal haben sie Besuch von zwei ihrer Cousinen bekommen – nach 20 Jahren Krieg.
"Ich bin glücklich. Es fühlt sich so an, als ob ein Teil meines Körpers, der amputiert war, nun wieder da ist“, sagt Samuel Habte und sein Bruder ergänzt: "Ich hatte unsere Verwandten noch nie gesehen. Aber als sie nun zu Besuch kamen, war es so, als ob wir uns immer schon gekannt hätten, denn die Liebe war einfach da."
Plötzliche Warenflut
Eritrea und Äthiopien teilen Kultur, Religionen, manche ethnische Zugehörigkeit. Aber Eritrea hat den Meereszugang, der Äthiopien fehlt. In Massawas Hafen sollen bald regelmäßig äthiopische Schiffe für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Seit die Landgrenzen Mitte September geöffnet wurden, ist außerhalb der Hauptstadt Asmara in kürzester Zeit ein Großmarkt mit äthiopischen Waren entstanden. Die Händler aus dem Nachbarland verdienen gut. Und manch einer denkt schon weiter: "Ich überlege, was ich von hier nach Äthiopien exportieren kann. Von dort mitgebracht abe ich Weizenmehl und Nudeln."
Die plötzliche Warenflut sorgt dafür, dass alles viel billiger ist als bis vor kurzem. Eine große Erleichterung für die Bevölkerung, die in der Regel wenig verdient. Allerdings teilen nicht alle Eritreer die Jubelstimmung: "Die Regierung ist sehr abgehoben. Viel zu sehr. Sie söhnen sich mit dem eigenen Volk nicht aus. Das sollten sie erst mal machen bevor sie mit den Nachbarstaaten Frieden schließen", sagt ein Kritiker.
Bislang ist nicht klar, ob mit dem Friedensabkommen auch der unbegrenzte Militärdienst abgeschafft wird. Den geben zehntausende eritreische Flüchtlinge seit Jahren als Grund für ihre Asylanträge in westlichen Staaten an.
Gemeinsames Meskel-Fest in Asmara
Samuel Habtes Familie feiert zu Hause in der eritreischen Hauptstadt Asmara mit den Cousinen aus Äthiopien das christlich-orthodoxe Meskel-Fest. Gefeiert wird die Auffindung des Kreuzes Jesu. Überall in der Stadt sind wiedervereinte Familien unterwegs, die sich an einem Festplatz treffen, auf dem ein Holzstapel angezündet wird.
Auch viele Verwandte des Taxifahrers leben im Ausland. Sie unterstützen die Daheimgebliebenen finanziell. Aber sie fehlen. An Tagen wie diesen wird Samuel das schmerzlich bewusst: "Ich bin glücklich und zur gleichen Zeit auch nicht. Wir haben in diesem Haus mit Verwandten zusammengelebt, die jetzt nicht mehr in Eritrea sind. Wenn man älter wird, ist Trennung offenbar unvermeidlich. Selbst wenn man im gleichen Land lebt, geschweige denn, wenn die Familie in der Welt verstreut ist." Dass seine Cousine Aberash Weldu so plötzlich aus Äthiopien herreisen durfte, ist beim diesjährigen Fest die große Überraschung und ein kleiner Trost. "Ich werde jedem in Äthiopien genau erzählen, was ich alles in Eritrea gesehen habe. Ich werde sagen, dass die Menschen friedlich sind und das Eritrea ein schönes und bewundernswertes Land ist", sagt Aberash Weldu.
Aber eben auch eines, dessen Regime in der Kritik steht. Freie Presse und politische Opposition werden unterdrückt. Auch das ist ein Grund, warum viele junge Menschen gehen. Samuels Nichte Mesiam Kibrom kann sich eine Zukunft in Eritrea vorstellen: "Ich möchte viele Dinge im Leben machen, zum Beispiel Krankenschwester werden oder Computerspezialistin. Am allerliebsten möchte ich aber Menschen glücklich machen." Vielleicht birgt der Frieden mit Äthiopien auch eine Chance für Eritreas Jugend.
"Ich wusste nicht, ob ich träume oder wach bin"
Samuel Habte und Cousine Aberash sind zum Festplatz gekommen. Aberash Weldu ist angesichts des unerwarteten Friedens noch immer überwältigt: "Anfangs wusste ich nicht, ob ich träume oder wach bin. Erst jetzt, wo ich hier in Eritrea bin, weiß ich, dass alles wahr ist. Hat Samuel überhaupt damit gerechnet, dass er in seinem Leben noch Frieden zwischen den politischen Erzfeinden erleben würde? "Ich wusste, dass es eines Tages dazu kommt. Ich wusste nur nicht, wann." 20 Jahre hat es gedauert.
Schließlich wird der Holzstapel auf dem Festplat angezündet. In welche Himmelsrichtung kippt er wohl? Es ist die richtige Seite. Jubel. Es wird ein gutes Jahr. Glauben sie in Eritrea.
Autorin: Sabine Bohland, ARD Studio Nairobi
Stand: 29.08.2019 02:02 Uhr
Kommentare