So., 19.04.15 | 19:20 Uhr
NDR Fernsehen
Italien: Zeugnis eines Flüchtlings
Sie gehören zu den Glücklichen, die ihre gefährliche Überfahrt überlebt haben. Drei junge Männer aus dem Senegal. In Sizilien haben sie eine Bleibe gefunden. Muslime und Christen leben hier zusammen. Wir treffen sie in der katholischen Gemeinde des Küstenstädtchens Priolo, wo sich Pater Vinci um sie kümmert.
"Du musst um dein Überleben kämpfen"
Wally war erst 17 Jahre alt, als er hier vor einem Jahr ganz alleine ankam. Ein ehemaliger Kindersoldat, der vor den Milizen im Senegal fliehen musste. Die traumatischen Erlebnisse seiner Flucht über das Meer wird er nie vergessen: "Es war eiskalt und wir waren mehr als 300 Leute auf dem Schiff, ein Teil im Schiffsbauch, und ein Teil oben an Deck. Du hast keine Ahnung wie seetauglich das Schiff ist, wenn die Schlepper dich hinbringen. Und wenn du an Bord gehst, weißt du, dass du um dein Überleben kämpfen musst. Das stürmische Meer ist ein einfach nur schrecklich. Das kannst du erst verstehen, wenn du es selbst erlebt hast Wenn das Meer unruhig wird, dann steigt auch an Bord die Anspannung."
Wenn es an Bord keine Zwischenfälle gibt, kommen alle sicher in Italien an. Aber wenn es auf der einen Seite des Schiffes Probleme gibt und die einen dann den anderen ihre Plätze streitig machen oder die Nahrung knapp wird, steigen die Aggressionen. Und das schürt die Konflikte. Vor ein paar Tagen sollen Muslime mehrere Christen auf einem der Flüchtlingsboote über Bord geworfen haben. Wally glaubt, dass nicht die unterschiedliche Religionszugehörigkeit der Grund dafür war, sondern der nackte Überlebenskampf, der Menschen verändern kann.
Muslime und Christen leben friedlich zusammen
Wally nimmt uns mit in das örtliche Aufnahmelager. Er will uns zeigen, wie Muslime und Christen hier friedlich zusammen leben. Und wenn sie gegen einander antreten, sagt er, dann nur auf dem Fußballfeld. "Beim Fußballspielen verliert man schon mal die Geduld. Und da geht es auch mal rauer zu. So ist das im Fußball. Da wird mal jemand wütend, verliert die Kontrolle. aber das ist nur hier auf dem Platz. Wenn wir wieder nach Hause gehen, dann ist das wieder vergessen."
Sein Freund Victor etwa ist gläubiger Christ, auch aus dem Senegal, aber von einem anderen Stamm, mit einer anderen Muttersprache. Jetzt reden sie englisch oder italienisch miteinander. "Wir sind es gewöhnt, miteinander auskommen zu müssen. Wir sind hier im selben Team, verstehst du?", sagt Victor.
Sorge um das sozial Klima
Auch Wally fühlt sich integriert. Aber wieso? Inwiefern? Gerade telefoniert er mit einem italienischen Freund, dem er Englischunterricht gibt. Doch nicht alle heißen sie willkommen. Etwa in der naheliegenden Hafenstadt Augusta, wo immer mehr Flüchtlinge ankommen. Diese Italiener waren selbst mal Gastarbeiter in Deutschland. "Jeden Tag kommen sie, Augusta ist voll von ihnen. Sie laufen hier umher, zehn auf einma. Sie fragen auch nach Geld, in den Bars, dann bezahlen wir auch noch für sie", sagt ein Mann.
Später stoßen wir auf noch deutlichere Ablehnung. "Das Problem darf nicht allein auf Sizilien abgeladen werden. In Sizilien, wo es schon so viel Arbeitslosigkeit gibt, die nehmen uns die Arbeit weg. Das ist nicht recht so", sagt eine Frau.
Für Padre Vinci sind seine Schützlingen aus dem Senegal Gemeindemitglieder wie alle anderen. Doch er sorgt sich langsam um das soziale Klima: "Die Gefahr von Konflikten steigt natürlich, wenn die Flüchtlinge sich abgelehnt fühlen und abgewertet werden. So ist es immer. Aber so soll es nicht sein."
Das hoffen die drei jungen Männer aus Afrika - und mit ihnen Tausende, die in diesen Tagen auf Sizilien ankommen.
Autorin: Mike Lingenfelser, ARD-Reporter
Stand: 19.04.2015 20:28 Uhr
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