So., 08.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Klassenkampf in Schottland
Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Die Hälfte von Schottland gehört 432 Privateigentümern, viele davon Lords und Earls. Besitzverhältnisse wie aus einer anderen Zeit. Auf der einen Seite steht der Adel, der alles so lassen will, wie es ist. Auf der anderen Seite Vertreter von Gemeinden, die sagen, es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert noch feudale Verhältnisse herrschen. Das Land müsse gerechter verteilt werden.
"Es muss sich was ändern"
Die Highlands erlebten viele Schlachten. Nun sorgt eine Bodenreform für neue Kämpfe. Sehr viel Land ist in den Händen weniger. Noch. Doch jetzt streckt das Volk die Finger aus in Schottland.
"Es muss sich was ändern. Schottland kann stärker werden und gerechter. ie Kluft zwischen Arm und Reich soll kleiner werden", sagt Gordon Ferry. Ein Hauch von Klassenkampf weht in die Kaminzimmer. Die Herrschaften fürchten um Besitzstände. "Ich sehe nicht ein, dass dir jemand vorschrieben soll, was du mit deinem Land machst", argumentiert Lord David Johnstone
Bodenreform soll Kommunen retten
Ansichtssache - je nachdem, auf welcher Seite der Grundstücksgrenze man steht. Die Bodenreform ist das radikalste Projekt von Schottlands linksgerichteter Regierung. Was nach Kommunismus klingt, soll Kommunen retten - von den Highlands bis auf die Hebriden.
Wir sind auf Harris am Rande Schottlands. Verlassene Häuser zeugen vom Verfall. 120 Quadratkilometer im Süden der Hebriden-Insel gehören einer Familie im fernen England. Der Zustand bekommt der Insel nicht, findet Bewohner John Maher: "Dieser Anblick ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wir wünschen uns Aufschwung. Neue Häuser, damit Familien herziehen."
Der Abstieg hat schon vor langem begonnen. Im 19. Jahrhundert vertrieben die Gutsherren das Volk, um Platz für Schafe zu machen. Die waren lukrativer. Seit dem Zweiten Weltkrieg verlor die Insel 40 Prozent ihrer Einwohner. John Maher sieht die Leute ziehen von seiner Werkstatt im Hafen aus. Beruflich macht er Oldtimer-Motoren flott. Nun bringt er auch die Insel auf Touren.
Johns Gemeinde will das Land kaufen. Die 700 Bewohner sollen künftig das Sagen haben. Der Grundbesitzer namens Hitchcock in Südengland schere sich doch eh nicht um die Insel. "Ich habe den Grundbesitzer noch nie gesehen. Er schickt nur seinen Lakai. Der kassiert die Pacht von den Farmern einmal im Jahr", sagt Inselbewohner Donald Macleod.
Gemeinde will sich freikaufen
Die Gemeinde will sich freikaufen. Das Geld können sie von Schottlands Regierung bekommen. Einen einstelligen Millionenbetrag kostet das karge Land wohl. Sie könnten Windräder aufstellen und so Geld verdienen. "Ich möchte, dass die Leute hier Selbstvertrauen bekommen und mehr Verantwortung übernehmen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist doch, dass alles bleibt wie es ist", sagt John Maher:
Gemeinden sagen Grundbesitzern Goodbye. Das Prinzip ist Entschädigung - nicht Enteignung. Aber die Reform ist dennoch radikal. Sie will vorschreiben, wie viel jemand besitzen darf. Und das Land soll nicht mehr nur an einen Erben gehen. Das trifft alle Großgrundbesitzer.
Lords sind gegen die Reformen
Ein schmuckes Schloss - ein altes Wappen - ein großes Gut bei Glasgow. Das gehört dem Grafen von Annandale. Die Reform bringt sie um Hab und Gut fürchtet der Sohn des Grafen: "Nein, ich halte sie für keine gute Idee. Die Reform trifft die Familiengüter, und am härtesten die kleineren. Wenn man drei Kinder hat, kann man das Land nicht durch drei teilen, das wäre nicht wirtschaftlich. Am Ende bliebe nur, alles zu verkaufen", erklärt Lord David Johnstone.
Seit 800 Jahren halten die Annandales ihre Grafschaft beisammen. Stets ging das Land nur an einen Erben. Lord David beschäftigt etliche Angestellte. Er nutzt seine 6.000 Hektar für einen Mischbetrieb aus Holzwirtschaft, Jagd und Ackerbau. Ein großer Besitz in einer Hand - das sei das Beste, meint der Lord. "Die Leute, die sie hier sehen, sind bei uns angestellt. Auf dem Gelände haben wir auch eine Dachdeckerfirma. Wir schaffen Jobs - direkt und indirekt. Das ist ein Gewinn für alle Seiten."
Zu viel Macht über schottischen Boden
Nein, hier profitiert nur einer und das ist der Lord, widersprechen die Menschen, die auf seinem Land leben. Sie dürfen durch seinen Wald laufen, aber über sein Land bestimmt der Lord allein. Grundbesitzer fällen Bäume oder lassen nach Gas bohren auf ihrem Stück Schottland. Das Volk ist außen vor. Das ist falsch, findet Gordon Ferry von der regierenden Schottischen Nationalpartei SNP: "Ich habe ganz persönlich etwas dagegen, dass eine kleine Zahl von Leuten solche Ansprüche hat, so viel Kontrolle, so viel Macht über schottischen Boden.“
Die Reform bedeutet Rückenwind für die, die bislang nichts besitzen. John Maher sieht auf Harris schon jetzt Fortschritte. Die geplante Übernahme des Landes durch die Kommune weckt Optimismus. Im Norden der Hebriden-Insel entsteht eine Whisky-Destille. Die Investition bringt eine weitere Attraktion auf die Insel, die sonst nur für den Tweed-Stoff bekannt ist. Beim traditionsreichen Handwerk spinnt sich der Faden fort. Unter den Webern gibt es frischen Nachwuchs.
"Lasst es uns probieren"
Stück für Stück wollen die Bewohner von Harris ihre Insel aufkaufen. Läuft alles nach Plan, ist die Insel bald komplett im Besitz der Bürger. "Wir haben die Chance, die Kontrolle zu übernehmen. Es ist eine Hoffnung. Vielleicht kommt nichts Phantastisches heraus, aber vielleicht aber doch. Lasst es uns probieren", sagt John Maher.
Aus Sicht der Gemeinden kann nur besser werden. Auf der anderen Seite des Zaunes widersprechen die Gutsbesitzer. Sie streiten um die Reform, die neu abstecken soll, wem Schottland gehört.
Autor: Frank Jahn, ARD-Studio London
Stand: 08.03.2015 20:21 Uhr
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