So., 08.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Südkorea: Vom Kasino in den Tod
Drei Autostunden von Seoul entfernt hat Südkorea den Begriff "Strukturwandel" neu definiert. Mit dem Ergebnis, dass eine ehemalige Bergarbeiterstadt jetzt ein Las Vegas für Arme ist - willkommen in Sabuk.
Das Kasino-Disneyland
"Wer herkommt, der hat noch Geld", sagt Pastor Bang Eun-Geun, "aber hinterher nicht mehr. - Ich packe was zusammen für die Bedürftigen." Sein Teufel heißt "Kangwonland" und thront auf der Abraumhalde über Sabuk. Früher wurde hier Kohle gefördert, jetzt wird hier Kohle gemacht - im Kasino-Disneyland.
Dabei ist des Kasinos Glücksversprechen makellos: In Smokings gewandete westliche Touristen amüsieren sich und gewinnen um die Wette: Das ganze Leben ist ein Spiel. Die Wahrheit sieht anders aus: Anorak statt Anzug. Die Tische für Ausländer sind leer. Drei Millionen Korenaer im Jahr kommen. Der gesellschaftliche Zwang, ein Gewinner zu sein, giert nach dem kürzesten Weg. Die Zahl junger Spieler steigt, die der Frauen auch. Glücksspiele auf Smartphones gelten als "Einstiegsdroge". Was für ein Stress - auch für die Stadt.
"Das Kasino muss schließen"
Zuerst kommen die Spieler, und dann kommt die Sucht. Und die Infrastruktur der Sucht besteht aus Pfandleihern, Massagesalons und Absteigen. Sabuk hat ein neues Gesicht eines, das Pastor Bang nicht gefällt: "Wer hier verdient, sind die Kasino-Betreiber, nicht die Bürger. Viele Eltern hier wollen kein Kasino, auch der Kinder wegen - aber die Eltern arbeiten ja selber dort. Das Kasino muss schließen, das ist die einzige Lösung.“
Und während der Pastor mit Sandwiches und Fertigsuppen Richtung Spielhölle steuert, spuckt der nächste Zug die nächste Kundschaft aus. Und die hat es eilig. Denn der kostenlose Bus zur Goldgrube wartet schon, Mittags, um 12.45 Uhr.
600.000 Schwerstsüchtige gibt es in Südkorea
"Ich bin zum dritten Mal hier dieses Jahr. Um die Tausend Euro habe ich dabei. Eigentlich spiele ich ständig. Ich bin abhängig, und da gibt es auch keinen Ausweg. Und wenn es mal nicht gut läuft, dann trinke ich viel. So lebe ich jetzt", sagt ein Besucher.
Der Eingang für Stammspieler ist schmucklos durch die Tiefgarage. Viele der 8.000 Besucher am Tag spielen eh nicht zum Spaß, sondern weil sie müssen - 600.000 Schwerstsüchtige hat Südkorea, etwa dreimal soviel wie Deutschland.
Karten-Glücksspiel seit 20 Jahren
Das Karten-Glücksspiel Baccara hat Lee Yong-Chul im Griff - seit 20 Jahren schon. Akribisch tüftelt er daran, den Code zu knacken. Wenn es denn einen gibt. Etwa eine Million Euro sind weg, aber alles sei unter Kontrolle, behauptet er: "Viele denken, mit Zocken sei schnell Geld zu machen. Diese Leute ruinieren sich. Für die wäre es besser, das Kasino wäre geschlossen. Das hier ist nichts für Amateure, das ist nur was für Profis."
Ohne Angehörige lebt der 51-Jährige jetzt rund um das Kasino - so, wie geschätzt 3.000 andere Spieler: ohne festen Wohnsitz, nur von Gelegenheitsjobs lebend. Ein Nomade. Und jeden dritten Tag gibt er Kangwonland, was er gerade verdient hat.
90 Prozent, sagt Pastor Bang, seien hier, weil sie Geld brauchen, nicht, weil sie welches haben. Doch gewinnen tut nur die Bank. Kangwonland produziert zuallererst Verlierer.
Sammelparkplätze für verpfändete Autos
"Das Kasino ist keine gute Idee. Aber der Bergbau hat die Natur zerstört. Wir haben uns sogar um ein Atommüllendlager beworben, so verzweifelt waren wir. Könnte etwas anderes uns helfen - wir bräuchten kein Kasino. Aber im Moment sehen wir keine Alternative", erklärt Kim Su-Bog von Stadtverwaltung.
Verpfändete Autos gab und gibt es so viele, dass es auffiel. Nun verstecken die Behörden die herrenlosen Wagen am Stadtrand, auf großen Sammelparkplätzen. Und davon gibt es ein halbes Dutzend.
Mitten in Sabuk protestiert Pastor Bang mit einem Bus - eine Anlaufstelle für Kasino-Opfer. Auch für Lee, der beim Baccara angeblich alles unter Kontrolle hat. Bang mahnt, wohin pervertierter Spieltrieb führen kann - nämlich zu Monaten mit acht bis neun Selbstmorden:
Im Schlafsaal übernachten oder mit dem letzten Geld nach Hause
Bis sechs Uhr morgens hat er geöffnet, der magische Traum von Kangwonland. Oder Alptraum, je nach Spielausgang: Kassensturz am Shuttle-Bus vorm Bahnhof: "Ich muss nach Haus, hab aber kein Geld mehr, nicht mal für den Zug", sagt ein Mann. 2,40 Euro von 900 sind ihm geblieben. Und während die einen im Morgengrauen auf dem letzten Jeton nach Hause rollen, schlägt Lee Yong-Chul sein Lager auf - allein, in einer Hotel-Lobby.
Die meisten Mitspieler jedoch übernachten auch heute wieder in billigen "Jjimjilbangs" - großen Familiensaunen mit Schlafsaal. Da liegen sie dann so hart wie auf der Straße und warten darauf, dass Kangwonland sie wieder reinlässt. Vielleicht denkt der eine oder andere aber auch: "Hätte hier doch nur ein Atommüllendlager aufgemacht – und kein Kasino."
Autor: Uwe Schwering, ARD-Studio Tokio
Stand: 08.03.2015 20:21 Uhr
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