So., 08.03.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Endlich Gerechtigkeit für Schwarze?
"Selma - ein schöner Ort zum Leben." Die Aufschrift wirkt zynisch. Hier, tief in Alabama, versteckt sich Armut nicht. Überall verfallene Häuser. Selbst der typische Südstaatencharme greift nicht.
"Wir haben einen unglaublichen Kampf geführt"
Wir sind unterwegs mit Chuck Fager, einem Veteranen der Bürgerrechtsbewegung. Vor 50 Jahren, im März 1965, war er im Konvoi mit Martin Luther King denselben Weg gefahren. Damals hatte er darum gekämpft, dass Schwarze endlich wählen können. Heute ist Chuck erschüttert, wie wenig sich getan hat: "Wir haben einen unglaublichen Kampf geführt und gewonnen. Wir haben das Wahlrecht hier erkämpft. Aber heute frage ich mich, ob wir doch erst mit dem Kampf gegen die Armut hätten beginnen sollen. Sehen Sie doch, sehen sie, wie das hier aussieht."
Selma downtown. Das Städtchen hat sich herausgeputzt. Der erste schwarze Präsident kommt zu dem Ort, der das Land verändert hat. Die Edmund Pettus Brücke, noch immer benannt nach ein Anführer des KukluxKlans, einem hasserfüllten Rassisten.
Leichen im Alabama River
Chuck erzählt uns, dass sie damals Todesangst hatten, als sie den Polizisten entgegen gingen. Dass sie wussten, sie würden brutal zuschlagen. Doch es sind nicht die Schlagstöcke, die ihn heute noch in Albträumen verfolgen, sondern die Bilder von Leichen im Alabama River, die er gesehen hat. "Wenn ich das runter schaue, meine ich immer, da schwimmen Leichen. Als wir hier marschiert sind, hat man zwar niemanden ins Wasser geworfen. Aber an anderen Orten nicht weit von hier, ist das passiert. Jedes Mal muss ich daran denken, wenn ich die Brücke überquere."
Der Marsch von Selma in die Bezirkshauptstadt Montgomery endete schon nach wenigen Metern, am Fuß der Brücke. Der berüchtigte Polizeichef Jim Clark befiehlt den Angriff auf die friedlichen Demonstranten. Mit Knüppeln und Gewehren schlagen sie hemmungslos selbst auf Frauen und Verletzte ein. Die Bilder empören das ganze Land. Wenige Monate später unterzeichnet Präsident Johnson ein Wahlgesetz, das alle Schikanen verbietet, die Schwarze von der Wahl abhalten sollen.
Flugblätter gegen den alltäglichen Rassismus
"Ehre die Vergangenheit, baue die Zukunft auf" - in Selma will die neue Generation nach vorne schauen. Brandi Hutter ist eine von ihnen. Sie erzählt, dass sie noch immer in weißen Lokalen nicht gerne gesehen ist. Dass auf ihrer High School kaum ein weißer Mitschüler war, weil diese lieber auf Privatschulen gehen. Brandy verteilt Flugblätter gegen den alltäglichen Rassismus. Die Aufmerksamkeit rund um die Feierlichkeiten will sie nutzen: "Das ist eine Chance, dass die Welt versteht, dass sich in Selma noch immer so viel ändern muss. Und zwar jetzt. Wir wollen nicht noch mal 50 Jahre warten."
Einiges hat sich schon getan. Heute ist ein Afroamerikaner Polizeichef von Selma. Chief Riley empfängt den ehemaligen Häftling freundlich. Zu Chucks großem Erstaunen zeigt er ihm sogar seine ehemaligen Gefängnispapiere. Auf der Karte steht unter der Rubrik Rasse: Negro, Neger. Berührt macht er ein Foto von den Spuren seines alten Lebens. Zehn Tage hatte Fager als junger Mann mit Martin Luther King in einer Zelle verbracht.
Die Schlagstöcke von damals liegen heute in der Vitrine. Der neue Polizeichef hat sie aus dem Keller geholt. Er will das dunkle Kapitel damals nicht länger verstecken.
Vergangenheit wirft noch immer Schatten
Dann geht Chuck Fager noch einmal in den Zellentrakt, in dem er als junger Mann mit 200 Weggefährten der Bürgerrechtsbewegung eingesperrt war. Es sei eng gewesen, stickig. Er habe Angst gehabt. "Die sagten; Du King, komm her, Abraham Ather auch und dann zeigten sie auf mich. Ich hatte Angst, denn wir hatten so viel gehört von Menschen, die aus ihren Zellen geholt und zusammengeschlagen wurden", erzählt Fager.
Die Vergangenheit wirft noch immer ihre Schatten. Brandi und ihre Freunde nehmen uns mit auf den Friedhof. Hier liegen nur weiße Bürger von Selma begraben. Mitten im Herzen der Anlage steht ein Denkmal für den Gründer des KuKluxKlans. Weil Protestler der Statue den Kopf abgeschlagen haben, wird gerade für eine neue Büste gesammelt, ein hoher vierstelliger Betrag sei schon zusammen gekommen. Das spreche doch Bände, finden die jungen Aktivisten. "Es gibt Schilder auf denen steht, versetzt sie weiter in Angst und Schrecken. Da das von weißen Extremisten kommt, die gut organisiert sind, interpretieren wir das so, dass sie zu rassistischer Gewalt aufrufen, um Schwarzen weiter Angst zu machen. Schlimm, dass das immer noch passiert", sagt John Gainey.
In bestimmten Ecken der Stadt fühle ich mich unwohl"
Brandi Hutter fügt hinzu: "Ich fühle mich oft unwohl wenn ich in bestimmte Ecken der Stadt gehe. Sie könnten mich dort nicht mögen. Dieses Gefühl dürfte ich heute eigentlich nicht mehr haben"
Aber auch das ist Selma - schwarze und weiße Kinder haben ein gemeinsames Projekt einstudiert. Monatelang hatten sie dafür geprobt. Zusammen schaffen wir den Wandel, lautet die Botschaft. Der schwarze Bürgermeister hatte versprochen, dass sie es aufführen dürfen, wenn Obama kommt. Eine Woche vorher wurde alles abgesagt: "Es gab Druck auf den Bürgermeister, vom weißen Stadtrat. Aber wir werden dennoch auftreten. Wir kommen wieder und zwar stärker als zuvor", sagt Brandi.
Und dann lernen die Kleinen das Victory Zeichen. Denn sie werden gewinnen, davon sind Brandi und ihre Freunde überzeugt. Nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber Übermorgen, mit Sicherheit"
Autorin: Tina Hassel, ARD-Studio Washington
Stand: 08.03.2015 20:21 Uhr
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