SENDETERMIN Mo., 15.06.15 | 04:50 Uhr | Das Erste

USA/New York: Endlich frei – nach 27 Jahren unschuldig im Knast

USA: Endlich frei - nach 27 Jahren unschuldig im Knast | Bild: NDR

Frühling in New York, ein Steg am East River: Ein verliebtes Paar schmust und macht, was man im Honeymoon so tut. Lanette und Shabaka wollen ihr Glück festhalten – möglichst lange. Sie haben über 27 Jahre darauf warten müssen. Für Shabaka ist alles wie neu. Er weiß nicht wie ein Smartphone funktioniert. Er weiß nicht, wie man ein Selfie schießt

Über 10.000 Tage unschuldig im Hochsicherheitstrakt

Shabaka Shakur
Shabaka Shakur saß unschuldig im Gefängnis. | Bild: NDR

Shabaka Shakur hat über 10.000 Tage Hochsicherheitstrakt hinter sich – unschuldig weggeschlossen, verurteilt als Doppelmörder. Ein Albtraum, den der Richter Desmond A. Green nach einer erneuten Anhörung des Falls nun beendet hat: "Der Beschuldigte muss sofort aus dem Gefängnis freigelassen werden, sofort."

Kein Journalist durfte dabei sein, um zu dokumentieren, wie das Justizopfer Shabaka erhobenen Hauptes seinen Leidensort, das Shawangunk Gefängnis, verließ. Sein erstes Mahl außerhalb des Gefängnisses ist ein Truthahnsandwich. Eine Delikatesse, wenn man Gefängnis-Essen gewohnt ist. Immer noch trägt der 51-Jährige Gefängniskleidung. Seine Frau Lanette hat in einer Tüte Jeans und T-Shirt mitgebracht. Aus der Toilette des Restaurants tritt  ein veränderter Mann: entschieden, selbstbewusst und endlich frei.

50 Mordurteile werden zurzeit überprüft

Zeitungsbericht über die Freilassung von Shabaka Shakur
Die Presse in New York verfolgt den Fall Shabaka Shakur. | Bild: NDR

In New York wartet sein Anwalt. Er will den Sieg mit seinem Mandanten gemeinsam auskosten. Die Presse ist geladen. Der Fall Shabaka war und ist ein großes Thema in New York – ein weiteres Beispiel aus einer ganzen Serie von Freilassungen. Über 50 Mordurteile werden zurzeit überprüft. Die Justizopfer sind in der Regel schwarz und arm.

"Gefängnis, das ist die Hölle. Viele glauben, Freiheit sei etwas Selbstverständliches, bis sie ihnen genommen wird. Freiheit, das ist das Kostbarste, was wir haben", sagt Shabaka einem Pressevertreter.

"Ich bin wieder unter den Lebenden"

Der nächste Morgen: Mit Interesse lesen Shabaka und Lanette, was über sie in der Presse steht. Die beiden dürfen bei der Schwester von Lanette frühstücken. Shabaka hat kein Geld, keine Papiere, keine Arbeit, keine Wohnung. Freiheit ist schwer, wenn man so gut wie nichts hat. "Es ist so, als ob mein Leben noch einmal von vorne beginnt, mit nichts. Aber darüber beklage ich mich nicht. Ich bin wieder unter den Lebenden, im Gefängnis war ich ein Zombie", sagt Shabaka.

Kommissar Scarcella kann sich nicht erinnern

Kriminalbeamte Louis Scarcella vor Gericht.
Der Kriminalbeamte Louis Scarcella brachte Shabaka Shakur mit einem falschen Eid hinter Gitter. | Bild: NDR

In der Gatesavenue in Bushwick soll Shabaka laut Anklage im Jahre 1988 angeblich zwei Menschen im Streit um ein Auto erschossen haben. Er ist zum ersten Mal wieder an seinem Unglücksort: "Sie haben behauptet, hier hätte ich geschossen und sei dann in diese Richtung weggelaufen." Heute ist richterlich festgestellt, er konnte zur Tatzeit gar nicht hier sein. Er hat ein glaubwürdiges Alibi. Er war verurteilt worden, weil der Kriminalbeamte Louis Scarcella vor Gericht beschworen hatte, Shabaka habe ihm gegenüber die Morde eingestanden.

Es ist der 4. Dezember 2014, der Höhepunkt in dem Wiederaufnahmeverfahren. Ohne Shabaka Shakur eines Blickes zu würdigen, tritt der inzwischen pensionierte Polizist vor den Richter. Das angebliche "Geständnis" hat Shabaka nie unterschrieben, es existieren von dem Verhör weder Bild oder Tonaufnahmen. Vor Gericht kann sich der inzwischen pensionierter Detektiv Louis Scarcella an rein gar nichts mehr erinnern.

Dutzendfach Geständnisse gefälscht

Vom Gefängnis aus hatte Shabaka Shakur die Gerichtsakten der Mordfälle recherchiert, in die der New Yorker Kommissar Scarcella involviert war. Er fand heraus, dass der Polizist offensichtlich dutzendfach Geständnisse gefälscht, Beweise unterdrückt und Kronzeugen gezielt bezahlt hatte. Ohne Shabaka Shakur wäre einer der größten Justizskandale des Landes nie herausgekommen.

"Es ist ein Segen. Ich glaube an Gott und nichts passiert in dieser Welt, ohne das es einen Sinn ergibt. Ich habe das alles durchgemacht nicht nur, um mir selber zu helfen, sondern auch anderen", sagt Shabaka. An Rache denke er nicht, er habe jetzt ein anderes Ziel: denjenigen zu helfen, die immer noch völlig unschuldig im Gefängnis sitzen. Und das sind viele.

Autor: Markus Schmidt , ARD-Studio New York

Rückblick: Weltspiegel April 2014

Stand: 05.07.2019 10:41 Uhr

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.