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China: Unterwegs in Xinjiang – Reise mit Hindernissen

China: Unterwegs in Xinjiang - Reise mit Hindernissen | Bild: NDR

Allein letztes Jahr sind in der chinesischen Provinz Xinjiang mehr als 450 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Was sind die Ursachen für Aufstände und Attentate? Warum wissen wir so wenig darüber?

96 Prozent der Einwohner sind Uiguren, ein Turkvolk. Sie haben eine eigene Sprache und Schrift, eigene Sitten und Gebräuche. Und: Sie sind Muslime. Die Regierung hat Milliarden in die Provinz investiert. Der Lebensstandard hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Aber es kommt immer wieder zu Übergriffen auf Regierungsgebäude und Polizeistationen. Ursache dafür sind Unterdrückung und Behördenwillkür, meinen die Uiguren. Die Regierung behauptet: Die Täter sind islamistische Terroristen. Die Männer auf der Straße sind sehr vorsichtig, bei dem was sie sagen. Wer die Regierung kritisiert, riskiert Gefängnis. Das wissen sie.

Keine Antworten

Korrespondentin Christine Adelhardt bei einem Interview
Korrespondentin Christine Adelhardt bei einem Interview in Hotan. | Bild: NDR

Uns bleibt nicht viel Zeit für unsere Recherche. Keine fünf Minuten, da tauchen Beamte der   Lokalregierung auf. Ihr Wortführer ist der einzige Han Chinese unter all den Uiguren. Die gut bezahlten Jobs in Regierung und Verwaltung sind mit Han besetzt. Uiguren bleiben meist außen vor.

Die Beamten wollen unser Drehmaterial sehen. Glücklicherweise haben wir die Diskette vorher schnell gewechselt. "Sie müssen verstehen: Die Situation in Xinjiang ist eben so", meint der Regierungsbeamte. "Wie ist sie denn?", frage ich. Aber ich bekomme keine Antwort. Wir müssen den Dreh abbrechen.

Am nächsten Morgen: In der Hotel-Lobby wartet schon ein Regierungsvertreter auf uns. Er belehrt uns, dass wir die "örtlichen Sitten" zu achten haben. Neben unserem Auto parkt ein silberfarbener PKW. Er verfolgt uns den ganzen Tag.

Aus Hotan stammen die Attentäter von Peking. Vielleicht fürchtet die örtliche Regierung Recherchen dazu. Bei dem Attentat raste ein Fahrzeug zum Tiananmen. 38 Personen wurden verletzt, fünf starben, darunter die Attentäter: Ein Mann, seine Frau und seine Mutter. Sie waren Uiguren. Bis heute ist das Motiv der Familie offiziell nicht bekannt.

Die Regierung vermutet radikale Islamisten hinter dem Anschlag. Gesteuert aus dem Ausland. In Xinjiang geht die Polizei auf Terroristenjagd. Sie finden Dinge, die jeder Bauer in seinem Schuppen hat: Strommesser, Kneifzangen, Steinschleudern. Die Uiguren fühlen sich unter Generalverdacht. Die kommunistische Partei verbietet jungen Männern das Tragen langer Bärte, Jugendliche unter 18 dürfen nicht mehr in die Moschee, privater Religionsunterricht ist untersagt.  

Weiter nach Yarkant

Wir fahren weiter durch die Wüste nach Yarkant. Es heißt, in der Gegend sei ein Massaker geschehen. Hier, nur gut 200 Kilometer von der Grenze zu Tadschikistan, spricht kaum einer chinesisch, geschweige denn englisch. Jetzt rächt es sich, dass wir keinen uigurischen Dolmetscher dabei haben. Aber das war uns zu riskant. Uiguren, die Journalisten helfen, bekommen sofort Schwierigkeiten mit der Polizei.

Was hier im Juli 2014 geschah erfahren wir so nicht. Erst wurde wohl ein Regierungsgebäude überfallen. Dann protestierten Hunderte Bauern, angeblich wegen illegaler Landenteignung. Polizeitruppen schlugen den Aufstand mit Gewalt nieder. 96 Menschen starben. Die Regierung behauptet: die meisten waren Terroristen. Augenzeugen berichten: Alle waren Bürger aus der Gegend hier.

Wir wollen in einem Hotel übernachten. Wenn Journalisten kommen, muss das der Polizei gemeldet werden. Das ist überall in China so. Hier aber will der Manager uns gar kein Zimmer geben. Telefonisch erbittet er Genehmigung von der Polizei. Gleich darauf sind Regierungsbeamte und Polizisten in Zivil zur Stelle. Yarkant sei ein spezieller Ort. Was so speziell sei, will ich wissen. Keine Antwort. Aber eines machen sie deutlich: Übernachten dürfen wir, mehr nicht. Die Beamten bewachen die Hotel-Lobby die ganze Nacht.

Keine Fragen stellen

Weißer Wagen am Straßenrand
Immer unter Kontrolle: Ein Auto, dass das ARD-Team "begleitet", wartet schon. | Bild: NDR

Am nächsten Morgen müssen wir abfahren. Und die Offiziellen stellen sicher, dass wir die Stadt wirklich verlassen. Ein Fahrzeug verfolgt uns 200 Kilometer durch die Wüste bis nach Kashgar.

Die örtlichen Sicherheitsbehörden sind schon informiert. Ein junger Polizist, der fließend englisch spricht, gibt Anweisungen: "Sie können alles filmen: Gebäude, Monumente, Stadtansichten. Das ist alles okay“, sagt er. "Aber wenn sie Interviews führen wollen, dann brauchen Sie eine Genehmigung von der lokalen Regierung oder von diesen Herren.“ Dann zeigt er auf zwei andere Personen.

Die drei begleiten uns Tag und Nacht. Wir dürfen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen. Uigurische Tradition und Lebensweise als Touristenmagnet und Folklore – solche Bilder sind erwünscht, Fragen nicht.

Die üblichen Propaganda-Phrasen

Imam Abdu Kadir Sawut
Imam Abdu Kadir Sawut gibt sich linientreu. | Bild: NDR

Immerhin: Die Offiziellen arrangieren ein Gespräch mit Abdu Kadir Sawut, Imam der Id Kah Moschee. Das Interview mit uns ist für ihn ein heikler Termin. Der Imam muss jedes Wort genau abwägen. Jetzt sind mindestens acht Überwacher dabei. Der Imam ist eingesetzt von der kommunistischen Partei. So kontrolliert die Regierung das religiöse Leben. Der Imam gibt sich linientreu: "In Xinjiang leben unterschiedliche ethnische Gruppen zusammen, lernen voneinander und helfen sich gegenseitig. Wir haben eine gesunde und weitgehend integrative Gesellschaft aufgebaut."

Die üblichen Propaganda-Phrasen. Eine Woche sind wir durch Xinjiang gereist. Wir haben den Überwachungsstaat China intensiv kennengelernt, aber über die Uiguren kaum etwas erfahren. Nur eines ist klar: Hier schwelt nicht nur ein ethnischer Konflikt. Die kommunistische Partei glaubt sich im Anti-Terrorkampf. Die Uiguren fühlen sich und ihre Religion diskriminiert. Ein gefährliches Gemisch.

Autorin: Christine Adelhardt, ARD-Studio Peking 

Stand: 05.07.2019 10:41 Uhr

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