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Indonesien: Walfang mit Speer und Stoßgebet

Indonesien: Walfang mit Speer und Stoßgebet | Bild: NDR

Ein Gebet an die Heilige Maria – so beginnt der Tag in Lamalera. Victor, Jefry, Gregorius wollen einen Wal fangen. Seit Sonnenaufgang sind die Männer am Strand. Mit der Flut bringen sie ihre hölzernen Boote zu Wasser. Die Fischer gehören zu den letzten traditionellen Walfängern der Welt.

"Das Meer lehrt dich, tapfer zu sein. Wenn die See Dich lockt, wird sie immer sagen, ich werde Dich nicht töten. Ich will nur sehen, wie mutig Du bist. Egal wie hoch die Wellen und wie stark der Sturm: Komm! Ich gebe Dir reichen Fang. Nur mutig must Du sein", sagt Jefry Bataona.

Die Männer wollen eines der eindrucksvollsten Tiere des Meeres fangen: den Pottwal. Ein Abenteuer, das alles fordert: Ausdauer, Kraft und viel Geschick. Die Walfänger jagen nur mit einer Harpune: ein rostiger Haken, eine Stange aus Bambus – nicht viel anders als bei Moby Dick.

Harpunist wichtigster Mann an Bord

Fischer in einem Boot
Nur bei guten Wetter können die Fischer aufs Meer fahren. | Bild: NDR

Ganz vorne am Bug steht der Lamafa, der Harpunist. Er ist der wichtigste Mann an Bord: "Wenn ich einen Wal sehe, denke ich nur noch an eines: Die Harpune muss genau treffen. Ich muss mir vertrauen und auch meinen Männern. Ob ich treffe oder nicht, entscheidet darüber, ob das Dorf zu essen hat – eine riesige Verantwortung", erzählt  Georgius Plake.

In der Jagdsaison lebt der Lamafa traditionsgemäß enthaltsam: kein Alkohol, kein Sex. Mit reinem Herzen soll er aufs Meer hinaus. Der Mann mit der Harpune hat den gefährlichsten Job. Er muss das Gleichgewicht halten, auch bei hohen Wellen. Er muss genau zielen, auch bei schneller Fahrt.

Ein Geschenk von Gott

Der erste Fang des Tages ist ein ausgewachsener Manta. Das zwei Meter große Tier hängt am Haken. Der alte Viktor spricht ein Gebet für das Tier. "Wir beten, weil wir danke sagen für unser täglich Brot. Der Fisch ist ein Geschenk", sagt Viktor. "Ein ist Geschenk von Gott. Es nicht anzunehmen, wäre undankbar."

Walfleisch als Währung

Getrockneter Fisch
In der Sonne wird das Walfleisch getrocknet. | Bild: NDR

Lamalera liegt an einer Art Autobahn für Wale. Gleich unterhalb der Bucht fällt der Meeresboden steil ab. Alles im Ort dreht sich um den Wal. Schädel und Skelette schmücken die Dorfstraße. In der tropischen Sonne trocknet das Fleisch, überall riecht es nach Wal. Knapp 2.000 Menschen leben in Lamalera. Der Walfang hat ein einzigartiges Miteinader geschaffen: Bargeld spielt keine Rolle. Die Währung hier ist ein fettes Stück vom Wal oder eine Flosse vom Manta.

Der Preis dafür ist manchmal hoch. Überall im Dorf leben Männer ohne Arm, ohne Hand, ohne Bein. Yohanes Sulaona hat sein ganzes Leben lang Wale gejagt – mit 13 das erste Mal. Jetzt sitzt er wie gefesselt auf seinem Bett. Dem 70-Jährigen fehlt ein Fuß. "Wir haben lange überlegt, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Aber wir wissen es nicht. Wir glauben inzwischen, einer meiner Vorfahren hat irgendwann Schuld auf sich geladen. Und ich muss dafür jetzt büßen. Ich bin nur dankbar, dass ich noch lebe."

Yohanes Sengaji Sulaona
Yohanes Sengaji Sulaona hat seinen Fuß beim Fischen verloren. | Bild: NDR

Alles hat einen Grund, glauben die Bewohner in Lamarela. Das Unglück vor sechs Jahren verfolgt die Männer bis heute. Auch Karolus, der Harpunenjaeger, war damals mit an Bord. Einen riesigen Wal hatten sie am Haken. Dann schnellten die Leinen über das Boot und zerquetschten das Bein des alten Yohanes. Der Walfänger ist den Tränen nah. Er hat nicht einmal eine Prothese. "Böse auf den Wal bin ich nicht. Aber mich ärgert, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Ich kann meinem Dorf nicht mehr helfen wie ein richtiger Mann."

Der Walfang lehrt Gottesfurcht. Sonntags darf niemand aufs Meer hinaus. Alle im Dorf der Walfänger sind fromme Katholiken. Nur der Pfarrer könnte erlauben, in See zu stechen.

Über 500 Jahre alte Tradition

Die Walfang-Saison dauert von Mai bis Oktober. Wenn der Wind nachlässt, die See glatt ist und keine tropischen Stürme über die Insel ziehen, fahren die Männer hinaus aufs Meer. Seit mehr als 500 Jahren fangen sie in Lamalera Wale. Nicht viel hat sich seitdem verändert. Auch das lange Warten gehörte immer schon dazu. Die Sonne brennt zermürbend vom Himmel. Es gibt keinen Schatten und kein Wind.

Doch mit einem Mal ist alles anders: Die Männer haben einen Walhai gesichtet, fünf Meter lang. Fast so lang wie das Boot. Die Jagd kann Stunden dauern, manchmal Tage und Nächte. Mit bloßen Händen ziehen die Männer den riesigen Fisch ans Boot. Irgendwann springt einer der Männer ins Wasser und gibt dem Tier einen Stich ins Herz. Der Walhai verblutet.

Die Jagd wirkt grausam, ein Albtraum für jeden, der Tiere mag. "Als aufgeklärter Mensch trauere ich   natürlich um den Wal. Als Fischer wiederum denke ich: Was, wenn wir keinen Wal fangen? Dann haben wir nichts zu essen. Ich fühle beides: Mitleid und Freude", sagt Jefry Bataona.

Früher haben die Männer viele Walhaie pro Jahr gefangen, dazu 50 oder 60 riesige Pottwale. Heute sind es vielleicht 5 bis 10. Noch üben die Jungen, wie man eine Harpune wirft. Nur wie lange wird es in Lamalera diese Tradition noch geben?

"Nichts vom Wal wandert in den Müll"

Jefry Bataona ist Walfänger
Jefry Bataona ist Walfänger. | Bild: NDR

Die Fischer kommen mit vollen Booten zurück. Der Fang wird bei Ebbe angelandet. In ein paar Stunden, bis zur Flut, muss der Fisch zerteilt sein. Jeder bekommt einen Teil vom Fang, auch die Alten und Witwen. "Vom Walhai nehmen wir nur das  Fleisch. Aber vom Wal nutzen wir alles. Aus der Haut machen wir Öl, aus den Knochen machen wir Schmuck. Das Fleisch verteilen wir im Dorf  oder tauschen es gegen Reis, Früchte oder Gemüse. Nichts vom Wal wandert in den Müll", erklärt Jefry Bataona.

Es war ein guter Tag für die Fischer. Nur wie wird es morgen? Bisher haben sie in diesem Jahr keinen Pottwal gesichtet. Die Männer müssen geduldig auf den großen Fang warten.

Autor: Philipp Abresch, ARD-Studio Singapur

Stand: 05.07.2019 10:41 Uhr

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