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Weltspiegel 21.10.2018 USA: Initiative will Wahlrecht für Straftäter erkämpfen
Familienalltag: Seinen Söhnen bei den Hausaufgaben zu helfen, ist Demetrius Jifunza wichtig. Er will Vorbild sein. Und er weiß warum: Mit 17 war er an einem bewaffneten Raubüberfall beteiligt, musste für drei Jahre ins Gefängnis. Seitdem hat er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen. Trotzdem verlor der 41-Jährige in seiner Heimat Florida seine Bürgerrechte, auch das Recht zu wählen. "Wählen zu gehen, wäre für mich und meine Familie so, wie wenn Geschichte gemacht wird. Meine Stimme abzugeben bedeutet, dass meine Meinung, meine Gedanken etwas bedeuten und Gewicht haben. Das wäre der ehrenvollste Moment. Ein unglaubliches Gefühl", sagt Demetrius Jifunza
Hoffen auf eine Verfassungsinitiative
Rechtsanwaltsgehilfe, Psychologiestudent, nebenbei Pastor. Doch ein Antrag, seine Bürgerrechte wiederherzustellen, ist seit Jahren ohne Antwort. Demetrius hofft nun auf eine Verfassungsinitiative, über die bei den Kongresswahlen auch abgestimmt wird. Wählt – eine Aufforderung, der mehr als 1,4 Millionen Menschen in Florida nicht nachkommen können, weil sie ehemalige Straftäter sind. Nur der Gouverneur und zwei Beisitzer können ihnen bisher ihre Bürgerrechte zurückgeben. Im Kapitol in Tallahassee findet viermal im Jahr eine Anhörung statt, bei der ehemalige Straftäter um Gnade bitten können. "Es gibt kein Gesetz, das wir anwenden. Das ist Sache der Richter. Wir entscheiden gemäß unserer eigenen Überzeugungen. Wir müssen nichts ändern", erklärt Rick Scott, Gouverneur von Florida und Republikaner.
"Wenn eine Schuld bezahlt ist, ist sie bezahlt"
Der jetzige Gouverneur hat deutlich weniger begnadigt als seine Vorgänger. Neil Volz empfindet dieses Vorgehen als Willkür. Deshalb engagiert er sich für die Kampagne. Ein erfolgreicher Politikmanager und Lobbyist, bis er in einem Korruptionsskandal straffällig wurde. Sie haben mobilisiert, Stimmen gesammelt. Hier glauben sie an eine zweite Chance. In diesen Wochen ist Neil unermüdlich unterwegs. Den Vorwurf, dass die Initiative nur den Demokraten helfe – gerade in einem so umkämpften Staat wie Florida – diesen Vorwurf weist der überzeugte Republikaner von sich: "Das ist eine Bewegung aller. Wir haben Republikaner, Demokraten und Unabhängige. Sie alle unterstützen die Idee, wenn eine Schuld bezahlt ist, ist sie bezahlt."
Florida ist nicht der einzige Bundesstaat, in dem verurteilte Straftäter ihre Bürgerrechte verlieren, aber die Hürden, sie zurückzubekommen, sind hier mit am höchsten. Neil wirbt, wo immer es geht, für die Verfassungsänderung. Mit dem Wahlrecht, da ist er sich sicher, kämen auch andere Rechte zurück: "Ich habe Freunde, die seit zehn, zwölf, fünfzehn Jahren straffrei sind. Sie sind perfekt geeignet, um zu unterrichten oder Organisationen zu leiten, die sich um die Rehabilitation von Straftätern kümmern, aber sie bekommen hier keine Lizenz, wegen ihrer Vergangenheit."
Nicht überall im Bundesstaat stößt die bewusst parteiübergreifende Initiative auf Begeisterung. Einem Bezirksvorsitzenden der Republikaner reicht es nicht, dass die Verfassungsänderung explizit Mörder und Sexualstraftäter ausschließt: "Ich will sicherstellen, dass sie auf dem richtigen Weg sind und nicht im Gefängnis gelernt haben, Verbrechen zu begehen, ohne gefasst zu werden. Bevor wir ihnen eines unserer heiligsten Rechte geben, das Recht zu wählen", sagt Jonathan Martin, Republican Party Lee County.
60 Prozent Ja-Stimmen nötig
Auch Coral Nichols saß im Gefängnis, wegen Raubs. Sie versucht den Wählern klarzumachen, dass überall Betroffene leben, egal welche Hautfarbe sie haben. Sie war Anfang 20, als sie straffällig wurde. Heute hilft sie anderen, die vor Gericht müssen. "Ich glaube an eine zweite Chance. Ich brauche Sie, damit Sie für mich wählen. Ihre Stimme ist meine. Ich will wählen. Ich halte es für meine staatsbürgerliche Pflicht. Stimmen Sie für unseren Verfassungszusatz?", sagt Nichols von der Organisation "Empowered to Change Inc."
Sie brauchen 60 Prozent Ja-Stimmen, dann darf auch Coral das nächste Mal wählen. Die eigene beschämende Geschichte öffentlich zu machen, dafür hat Demetrius Mut gebraucht. Die Jahre im Gefängnis – ein Stigma, das man lieber vor den Nachbarn verbirgt: "Wenn die Verfassungsänderung durchkommt, werde ich immer wieder daran erinnern, dass es registrierte Wähler waren, die dafür gestimmt haben. Ehemalige Straftäter haben die Pflicht, denen Respekt zu zeigen, die ihnen mit der Wahl ihre Rechte zurückgegeben haben." Demetrius freut sich darauf, vielleicht schon bald seinen Kindern vorleben zu können, was es heißt zu wählen und politische Verantwortung zu übernehmen.
Autorin: Claudia Buckenmaier, ARD Studio Washington
Stand: 29.08.2019 02:02 Uhr
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