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Vietnam: Die jungen Opfer von Agent Orange

Vietnam: Die jungen Opfer von Agent Orange | Bild: ARD

Sich zu bewegen fällt ihm schwer, das Atmen auch. Die Muskeln schmerzen und die Knochen. Long Vu ist 13 Jahre alt, sein Bruder Long Than 15. Sie sind die jüngsten Opfer eines Krieges, der eigentlich längst zu Ende ist. Die beiden Kinder sind Opfer von des chemischen Entlaubungsmittel Agent Orange, eingesetzt von den Amerikanerin im Vietnamkrieg.

Mama, warum bin ich so?

"Manchmal fragen mich meine Kinder, Mama, warum bin ich so? Warum habe ich diese Krankheit?” Ich weiß gar nicht, was ich dann antworten soll. So habe ich euch geboren, kann ich dann nur sagen. So ist es passiert", sagt Mutter Do Tranh Nhat Linh.

Long Vu und sein Bruder Long Than, im Hintergrund ihre Mutter.
Familie Do bekommt Spenden. | Bild: NDR

Die beiden Brüder brauchen Pflege rund um die Uhr. Sie können sich nicht alleine anziehen, nicht selber essen. Sie können auch nicht in die Schule gehen. beide Kinder sind seit ihrer Geburt schwer behindert. Ihr Vater Tran Nhat Lin war mit Agent Orange in Berühung gekommen, dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel.

"Das war in meinem Wehrdienst. Wir wurden zur Ernte aufs Feld geschickt. Und da bin ich plötzlich umgekippt. Ich war bewusstlos. Die Ärzte sagten damals: 'alles okay." Dass ich das Gift eingeatmtet hatte, wurde mir erst klar, als mein erster Sohn geboren wurde.

50 Millionen Liter Agent Orange versprüht

Am Strand von Da Nang beginnt die traurige Geschichte. Hier, wo heute Hochhäuser in den Himmel schießen und amerikanische und chinesische Investoren um den schönsten Blick wetteifern. Vor genau 50 Jahren landeten am China Beach die ersten amerikanischen Bodentruppen. Die US-Armee hoffte, mithilfe von Agent Orange dem Vietcong die Deckung im Dschungel nehmen zu können. So versprühten die Amerikaner massenhaft Entlaubungsmittel über den Feldern und Wäldern Vietnams - 50 Millionen Liter Agent Orange. Die Blätter fielen von den Bäumen und das Dioxin blieb, im Boden und Trinkwasser - mit schrecklichen Folgen bis heute.

"Wir hatten ein Kind mit einem Kopf wie ein Hund"

Nguyen Viet Hoan von der Agent Orange Association
"Manche Kinder kommen mit zwei Köpfen zur Welt", sagt Nguyen Viet Hoan von der Agent Orange Association.  | Bild: NDR

"Die Kinder werden nicht normal geboren. Einmal hatten wir ein Kind mit einem Kopf wie ein Hund. Ein anderes Mal eines mit Hörnern wie ein Wasserbueffel. Manche kommen mit zwei Köpfen zur Welt. Diese Kinder überleben meistens nicht länger als 48 Stunden", erklärt Nguyen Viet Hoan von der Agent Orange Association in Quang Tri.

"Der Krieg mit den USA hat viele Narben hinterlassen"

Ein Kind wird von Dr. Ta Thi Chung versorgt.
Ein Kind wird von Dr. Ta Thi Chung versorgt. | Bild: NDR / Philipp Abresch

Der Krieg ist genau 40 Jahre her. Vietnam bereitet sich auf die großen Feiern vor. Doch selbst jetzt im Frieden gibt es beinahe täglich neue Opfer. Im Tu Do Krankenhaus von Saigon werden die vielen Kinder des Krieges betreut, vor allem die der armen Bauernfamilien vom Land.Dr. Ta Thi Chung ist 84 Jahre alt, sie ist längst in Rente. Und kommt trotzdem jeden Tag in die Klinik. "Der Krieg mit den USA hat viele Narben hinterlassen. Wir haben so viele behinderte Kinder, um die wir uns kümmern müssen. Agent Orange ist für unser Land ein riesiges Problem", sagt die Ärztin.

Etwa drei Millionen Vietnamesen sind durch Agent Orange erkrankt, schätzt das vietnamesische Rote Kreuz. Etwa 150.000 Kinder sind seit dem Krieg mit Behinderungen zur Welt gekommen. Und längst nicht alle geraten in die fürsorglichen Hände der Pflegerinnen um Dr. Chung. Sie ist zu den Kindern wie eine Großmutter.

"Ich glaube, es geht alles über die Liebe, über die Liebe zu den Kindern. Ohne Liebe, kannst Du hier nicht überleben", sagt Hebamme Le Thi Cam Ha.

Jahrelang hat Vietnam um Hilfe gebeten. Die USA haben stets vertröstet, geleugnet, gezweifelt, abgestritten. Bis heute will die amerikanische Regierung keinen direkten Zusammenhang zwischen Agent Orange und den behinderten Kindern sehen. Für die Ärzte und Pfleger in Saigon dagegen ist der Nachweis längst erbracht. "Wir haben jetzt schon erkrankte Kinder in der vierten Generation. Und wer weiß, wie lange es noch so weitergeht. Wer weiß, wie lange noch solche Kinder zur Welt kommen. Wer weiß, ob es überhaupt jemals aufhören wird", erklärt Ta Thi Chung.

Geld für die Opfer

Erst seit zwei Jahren fließt Geld für die Opfer - 100 Millionen US-Dollar. Es ist aber kein Schuldeingeständnis, betont die US-Regierung. Für viele Vietnamesen bleibt so oder so ein Nachgeschmack.100 Millionen Dollar - viel zu wenig, finden sie und viel zu spät. Vor allem bei den betroffenen Kindern und Eltern in den ländlichen Regionen kommt bis heute kaum etwas von diesem Geld an.

"Im Moment bekommt jedes Opfer etwa 20 US-Dollar monatlich. Es reicht nicht, um Essen zu kaufen oder ausreichend Kleidung. Ich kann ihnen versichern, die Opfer von Agent Orange sind die ärmsten Menschen in unserem Land. Die amerikanische Regierung sollte ihren Fehler eingestehen. Und sie muss für die Folgen von Agent Orange aufkommen", fordert Nguyen Viet Hoan von der Agent Orange Association.

Beinahe in jedem Dorf behinderte Kinder

Baby im Krankenhaus Ho Chi Minh Stadt
Etwa 150.000 Kinder sind seit dem Vietnamkrieg mit Behinderungen zur Welt gekommen. | Bild: NDR

Auf den Schlachtfeldern von einst, in beinahe jedem Dorf, gibt es behinderte Kinder - mit übergroßen Köpfen, verstümmelten Händen, ohne Arme oder Beine.

Familie Do hat es besonders schwer. Der Vater kam nicht im Krieg, sondern erst Jahre spaeter mit Agent Orange in Kontakt. Die Familie hat deshalb kaum Anspruch auf staatliche Hilfe. Sie lebt von Spenden: Fünf Kilo Reis zu Jahresbeginn, Kleidung und Süssigkeiten. "Ich habe nur einen Wunsch: Meine Kinder sollen gesund sein. Und wir möchten so gerne noch ein drittes gesundes Kind bekommen", sagt Vater Do Tran Nhat Linh.

Die Wunden des Krieges in Vietnam sind noch lange nicht geheilt.

Autor: Philipp Abresch, ARD-Studio Singapur

Stand: 14.09.2016 15:55 Uhr

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