So., 17.05.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Neuseeland: Raus aus der Corona-Krise
Ein besonderer Morgen im Herbst in Neuseeland.
Jim Boult, Bürgermeister Queenstown: "Ich mache das hier für Queenstown. Wir sind zurück!"
Mit jeder Menge Adrenalin wieder auf die Füße kommen
Der Mann, der sich hier von der Brücke stürzt, ist fast 70 – und Bürgermeister von Queenstown. Da wo vor mehr als 30 Jahren das kommerzielle Bungee-Jumping erfunden wurde. Sieben lange Wochen Lockdown hat Neuseeland hinter sich. Jetzt heißt es: Mit jeder Menge Adrenalin wieder auf die Füße kommen.
"Es war großartig. Vor zehn Jahren bin ich das letzte Mal gesprungen. Ich habe es wirklich genossen. Es ist meine Art, Touristen hier wieder willkommen zu heißen", sagt Jim Boult.
Neuseeland nach einem der härtesten Lockdowns weltweit. Nun drängt es alle nach draußen. Auch 1.500 km weiter nördlich am Strand von Auckland. Selbst Surfen war nicht mehr erlaubt, als es Ende März hieß: Ausgangssperre. Und das obwohl das weitläufige Land da gerade mal 102 Covid19 Fälle hatte.
Das Virus richtig bekämpfen
Nick Mead kann jetzt wieder Paddel-Boards und Kayaks vermieten. Er musste neun Mitarbeiter entlassen. Im Moment aber bei ihm vor allem Erleichterung: Fast keine Corona-Neuinfektionen mehr in Neuseeland. Und nur noch ein paar dutzend Kranke. "Das war notwendig. Die Zahl der Infektionen ging im März nach oben. Und wir haben ja gesehen, was anderswo auf der Welt passiert, wenn du nicht reagierst. Die Regierung hat das gut kommuniziert. Der komplette Lockdown war die richtige Entscheidung", so Nic Mead, Auckland Sea Kayaks.
Stephen Tindall ist ein einflussreicher Investor in Neuseeland. So paradox es klingt: Er und andere Wirtschaftsbosse drängten die Regierung geradezu, die Grenzen zu schließen und die Wirtschaft lahmzulegen. Lieber einmal das Virus richtig bekämpfen als ein ständiges Auf und Ab bei den Infektionen. Und sie wurden selbst aktiv
"Wir hatten das Gefühl, dass die Regierung nicht schnell genug medizinische Atemschutzmasken besorgte und haben das dann selbst organisiert. Und sie auf unsere Kosten eingeflogen. Genauso als wir sahen, dass offenbar Beatmungsmaschinen der einzige Weg waren, um Leben zu retten", sagt Stephen Tindall, Geschäftsmann.
Facebook Live mit der Premierministerin im Homeoffice. Sie weiß sich in Szene zu setzen: Jacinda Ardern fand in der Krise die richtigen Worte und die richtige Symbolik: Ein halbes Jahr Gehaltskürzung von 20 Prozent für sich und ihre Minister. Wir sind "Team Neuseeland" so die Botschaft. Und Team Neuseeland stehen harte Zeiten bevor, auch wenn Queenstowns atemberaubende Kulisse derzeit in den schönsten Herbstfarben leuchtet.
63 Prozent der Jobs hängen am Tourismus
Die 42.000 Einwohner Gemeinde war bisher ein Abenteuer-Spielplatz für Outdoor-Fans aus der ganzen Welt. Bürgermeister Jim Boult im Bürgergespräch. Er macht sich Sorgen. 63 Prozent der Jobs hier hängen am Tourismus. Und 70 Prozent aller Gäste kamen bisher aus dem Ausland: "Vor zwei Monaten waren wir der vielversprechendste Teil Neuseeland, so gut wie keine Arbeitslosigkeit, die Gewinne sprudelten, Bevölkerungswachstum. Übernacht hat sich das komplett gedreht und wir sind jetzt wahrscheinlich eine der ärmsten Regionen des Landes."
Bei der Heilsarmee in Queenstown. Brot und Milch für Bedürftige. Während des Lockdowns ist die Nachfrage um sage und schreibe 600 Prozent gestiegen. Vor allem Gastarbeiter mit begrenzten Visa hat der Lockdown hart getroffen. Ihre Jobs im Tourismusgewerbe waren als erstes weg. Allein im kleinen Queenstown sind das bis zu 4500 Menschen.
Beekela Smith aus Brasilien lebt seit vier Jahren hier. Die Politikwissenschaftlerin hat zuletzt in einer Autovermietung gearbeitet hat. Nun muss sie um ihren Traum bangen, dauerhaft in Neuseeland zu leben.
"Ich kämpfe nicht nur um einen neuen Job, sondern wie viele Einwanderer auch um mein Visum, um meine Aufenthaltsgenehmigung. Darauf muss ich mich erst mal einstellen", erzählt Beekela Smith, Einwanderin aus Brasilien.
Ein fast normales Leben beginnt wieder
Neuseelands Grenzen sind nach wie vor dicht. Aber das hier ist die erste Maschine aus Auckland, die nach dem Lockdown in Queenstown landet. Und der Bürgermeister feiert hier jeden einzelnen Passagier. Er hofft, dass bald wenigstens die Touristen aus dem Nachbarland Australien wiederkommen dürfen. Dort läuft der Kampf gegen Corona ähnlich erfolgreich.
"Es wird noch ein langer Weg für uns alle. Wir haben nur den Motor gestartet. Wir wollen jetzt unbedingt eine freie Reisezone mit Australien. Wir besprechen das gerade mit der Regierung. Hoffentlich rechtzeitig zur Skisaison", so Jim Boult.
Also im Juli oder August. Neuseelands isolierte Insel-Lage in Pandemie-Zeiten ein großer Vorteil – am anderen Ende der Welt beginnt in diesen Tagen ein fast normales Leben – ohne Maskenzwang und mit ganz viel Umarmungen.
Autorin: Sandra Ratzow/ARD Studio Singapur
Stand: 18.05.2020 11:33 Uhr
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