So., 17.05.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Ecuador: Die Suche nach den Toten
Seit über sechs Wochen findet Blanca Moncada keine Ruhe, auch heute fährt die Journalistin raus zu den fast täglichen Demonstrationen in ihrer Heimatstadt Guayaquil.
Das Coronavirus trifft die Stadt hart
"Die Wunden hier sind nicht geheilt, die Wunde ist offen. Die Tränen fließen noch, sie trocknen nicht, und zwar wegen allem was hier passiert ist", sagt Blanca Moncada, Journalistin. Was in Guayaquil passiert ist? Ende März trifft das Coronavirus die Wirtschaftsmetropole Ecuadors unvorbereitet. Plötzlich liegen Dutzende Tote in den Wohnungen, oder werden auf die Straße gebracht. Die Behörden, die die Leichen abholen sollen, sind überfordert, haben Angst sich anzustecken.
Blanca will damals nicht wegschrecken, sie geht mitten rein, trifft hier eine Frau dessen Vater seit drei Tagen tot im Schlafzimmer liegt.
Blanca Moncada, Journalistin: "Hast du den Notruf gewählt!"
Frau (anonym): "1.000 Mal. Sie antworten nicht. Ich habe meinen Vater mit Kaffee bestreut, weil eine Nachbarin mir das geraten hat. Aber der Geruch ist mittlerweile furchtbar, und ich habe Angst, dass ich mich angesteckt habe."
Journalistin will aufklären
Vor den Friedhöfen warten Menschen tagelang darauf ihre Toten zu beerdigen. Weshalb das Coronavirus die Stadt so hart trifft ist unklar. Die Regierung tut die Ereignisse Anfangs als Fake News ab, erzählt Blanca. "Sie versuchten so die Realität zu verschleiern, die immer deutlicher hervortrat. Und wenn wir über die Meinungs- und Pressfreiheit sprechen, ja sie haben versucht uns zum Schweigen zu bringen", so Blanca Moncada, Journalistin.
Für die Journalistin ist der Ansporn die Wahrheit ans Licht zu bringen. Auf Twitter können sich betroffene Bürger bei ihr melden. Und es melden sich hunderte. "Ich hatte Angst, ich dachte an den Tot und dachte es könnte auch mich treffen", erzählt Blanca Moncada.
Zu Hause sollen sie bleiben, doch das kann nicht jeder. Blanca will nicht, trotz aller Infektionsgefahr. Sie will aufklären.
Viele Menschen hier leben in Großfamilien auf engem Raum. Die ganze Familie habe Fieber und Husten. Erst sei ein Bruder hier erstickt, kurz danach der zweite gestorben.
Das Gesundheitssystem ist längst kollabiert
"Ich konnte meinen Brüdern nicht helfen, weil als es ihnen immer schlechter ging, ging es mir selbst sehr schlecht", erzählt Jackelin Cheran. Der Versuch Hilfe zu rufen: vergebens. "Wir haben keine Hilfe bekommen, kein Arzt ist gekommen, um uns zu untersuchen", so Jackelin Cheran.
Denn das Gesundheitssystem ist längst kollabiert. Hält dem Ansturm der Patienten nicht stand. Wütende Angehörige, verzweifelte Ärzte. Es fehle an Medikamenten, Schutzkleidung, Sauerstoff.
Frau (anonym): "Sie sagten es geht im gut, alles gut, ich soll gehen und jetzt ist mein Mann gerade gestorben."
Särge aus Karton, gestapelte Leichen. Mitte April räumt die Regierung ein, dass in Guayaquil, 6.000 Menschen mehr starben als im April des Vorjahres. Woran sie genau sterben bleibt ungeklärt, in Ecuador wird kaum auf Covid19 getestet. Dafür die Friedhöfe erweitert.
Medikamente auf dem Schwarzmarkt
Daniel Torres hat das Virus im Krankenhaus überlebt, doch die Hilferufe und Schmerzensschreie dort kann er nicht vergessen. "Es war wie in die Hölle zu fahren. Es ist ohnehin schwer zu atmen, vorallem aber, wenn du siehst wie überall um dich herum, direkt neben Dir Menschen sterben. Und sofort danach wird der nächste auf seinen Platz gelegt. Und dann im Flur werden die Toten durchgeschoben in schwarzen Säcken, einer, zwei, noch einer", erzählt Daniel Torres, Covid19-Überlebender.
Josue hat seinem Vater den Sauerstoff besorgt, den das Krankenhaus nicht hatte. 800 statt regulär 50 US-Dollar zahlte die Familie auf dem Schwarzmarkt, das Geschäft mit der Not blüht.
"Du musst Himmel und Hölle in Bewegung setzen, du musst dich gegen alle durchsetzen, mit Leuten streiten, die versuchen deine Verzweiflung auszunutzen", sagt Josue Torres, Angehöriger.
Viele der Verstorbenen sind verschwunden
Für Blanca sind die Wochen ein hoch und runter der Gefühle. Kollegen sind gestorben, Freunde. Als sie nachhause kommt liegt ein Nachbar tot vor der Haustür. Und wieder ist der Tod ganz nah. "Das Leid wirft dich immer wieder aus deiner Rolle als Journalist und es berührt dich einfach als Mensch", Blanca Moncada.
Doch die Arbeit muss weitergehen. 10.000 Menschen sind gestorben. Längst sind die Toten von den Straßen verschwunden. Doch ein neues Drama ist jetzt in vollem Lauf. Viele der Verstorbenen sind verschwunden. Ihre Angehörigen können nicht an ihren Gräbern trauern.
Mayuri Raza, Angehörige: "Wir sind doppelt geschlagen, erst liegen unsere Toten 3,4 Tage zu Hause und jetzt bekommen wir die Körper nicht."
Paola Alaym, Angehörige: "Sie überprüften jeden Körper in den Containern, aber nichts."
Hector Vanegas, Rechtsanwalt der Angehörigen: "Sie haben verschwiegen, dass es Körper gibt, die die nicht mehr identifiziert werden können!"
Covid19 hinterlässt traumatisierte Menschen in Guayaquil. Die Regierung will bald rein in die "neue Normalität". Dabei sei die Gegenwart noch nicht bewältigt. "Was passiert ist hat uns gezeichnet und jemand wird dafür Rechenschaft ablegen müssen", sagt Blanca Moncada.
Blanca wird weiter berichten, zu Hause bleiben ist für sie keine Option.
Autorin: Xenia Böttcher/ARD Studio Mexiko
Stand: 18.05.2020 11:34 Uhr
Kommentare