Mo., 09.05.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Schmerzmittel als Einstiegsdroge
Weiß, gutsituiert und süchtig – die Geschichte von Tom ist typisch für die Opiat-Epidemie in den USA. Ein Bär von einem Typ – früher ein Athlet – im College der Rückhalt im Footballteam – verletzte er sich. Und bekam im Zuge der Behandlung ein starkes Schmerzmittel verschrieben. Er kam davon lange nicht mehr los.
"Ich war jung und ich dachte, ich bin unbesiegbar", sagt Tom Goris. "Niemals hätte ich geglaubt, dass so einer wie ich ein Drogenabhängiger wird." Das Mittel, das ihn süchtig machte heißt Oxycontin. Es ist ein auf Rezept erhältliches, starkes Schmerzmittel. Es wirkt auf das Hirn wie ein Opiat – ähnlich dem Heroin. Für den Hersteller – die New Yorker Firma Purdue – ist es ein Bestseller, für Tom war es die Einstiegsdroge.
Suffolk auf Rhode Island ist besonders betroffen
Tom fährt seine Tour als Vertreter von Kopierern. Ein guter Job, so sagt er. Heute ist er clean, aber die Angst vor einem Rückfall fährt immer mit. Erst jahrelang auf Oyxcontin, dann stieg er um auf Heroin. "Es war die Hölle", sagt Tom. "Es ist, als ob täglich die Welt über Dir zusammenbricht. Es gab Zeiten, da wollte ich nicht mehr weiterleben, als ich dachte, es wäre besser für mich, mit 120 Sachen vor einen Baum zu fahren."
Tom lebt im Landkreis Suffolk auf Long Island. Die Städtchen hier sind sauber, adrett – wohlhabend. Hier sieht man keine Drogenabhängigen auf den Straßen, hier liegen keine Spritzen in den Vorgärten herum und trotzdem hat dieser Landkreis bezogen auf seine 1,4 Millionen Einwohner eine der höchsten Raten an Drogentoten in den USA.
Timothy Robert, der für sein Leben gern surfte, starb mit 23 an einer Überdosis Heroin. Auch seine Einstiegsdroge war Oxycontin, das ihm vom Arzt wegen starker Migräne verschrieben wurde. Seine Mutter trauert: "Er hat so sehr versucht, davon loszukommen. Ich weiß, wie sehr er gekämpft hat. Und darauf bin ich heute stolz. Er wollte doch eigentlich ein gesundes Leben führen."
Die Notaufnahme des größten Krankenhauses im Landkreis Suffolk. Fast jeden Tag werden hier Drogenopfer eingeliefert. Und es sind Jahr für Jahr mehr geworden. Dr. Sydney de Angelis leitet die Notaufnahme des Krankenhauses. "Es ist eine Epidemie und sie betrifft jedes Alter, Reiche wie Arme, Leute aus gutem Haus, wo sie niemals geglaubt hätten, dass es dort ein Suchtproblem gibt."
Die Pharmahersteller sind Mitverantwortlich
Sie hat erschreckende Zahlen: In vier von fünf Fällen kamen die Süchtigen über starke Schmerzmittel zum Heroin. "Ich finde, dass die Pharmafirmen Mitverantwortung tragen", meint Dr. de Angelis. "Sie haben nicht richtig darüber informiert, was ihre Mittel den Menschen antun können."
Patchogue, hier sitzt die Verwaltung des Landkreis Suffolk. Robert Carlaco sieht, wie die Opiat-Epidemie den Landkreis Millionen Dollar für Krankenhäuser, Therapie und Fürsorge kostet. Man werde deshalb, die Hersteller der Schmerzmittel, darunter die Firma Purdue, auf Schadenersatz verklagen: "Weil sie ihre Pillen in den Markt gedrückt haben und damit Leute süchtig gemacht haben." Robert Carlaco will, "dass die Firmen helfen, die Sauerei zu beseitigen, die sie selbst mitangerichtet haben."
Die Firma Purdue wollte sich Anfrage nicht zur der Klage äußern, legt aber schriftlich Wert auf die Feststellung, dass man seit Jahren Ärzte und Patienten eindringlich und umfassend über den Wirkstoff Oxycontin aufkläre.
Sucht auf Rezept
Tom hat uns mitgenommen in seine Selbsthilfegruppe. Robert Carlaco vom Landkeis Suffolk ist auch gekommen. Er hört sich die Suchtgeschichten der Patienten an und sie fangen nur allzu oft wie die von Tom an - mit der Verschreibung von starken Schmerzmitteln, obwohl es nicht notwendig gewesen wäre.
"Ich hatte Rückenschmerzen – keinen Krebs im Endstadium", sagt Tom Goris. "Ich habe es von meinem Zahnarzt bekommen – ganz einfach", erzählt eine andere Teilnehmerin der Gruppe. Und eine andere Patientin ergänzt: "Für Deine Sucht hast du die perfekte Entschuldigung: Es wurde dir ja vom Arzt verschrieben, du bist kein Drogensüchtiger."
Die Haven Drug Apotheke im Landkreis Suffolk war vor fünf Jahren Schauplatz eines schrecklichen Verbrechens. Drei Menschen wurden hier von David Laffer erschossen. Abhängig vom Schmerzmittel Oxycontin hatte er die Apotheke überfallen und war mit einem Sack voller Pillen geflohen. Das Verbrechen des Süchtigen David Laffer war ein Fanal.
Die Politik verschärfte im Anschluss die Verschreibungsregeln massiv. Das hatte ungewollte, dramatische Nebenwirkungen. Der Schwarzmarktpreis des Medikamentes stieg auf 40 Dollar an. Heroin war dagegen schon für 5 Dollar zu haben. "Zu dieser Zeit machte ich dann meine Rezepte zu Geld und stieg von Oxycontin auf Heroin um. Das Zeug war viel leichter auf der Straße zu bekommen als ein Therapieplatz in einer Klinik", erzählt Tom Goris.
Suffolk will die Pharmahersteller verklagen
Die Firma hatte Oxycontin so aggressiv in den Pharmamarkt gedrückt, dass sie 2007 wegen Verharmlosung des Wirkstoffes zu einer Strafzahlung von 600 Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Robert Carlaco glaubt, "dass die Herstellerfirmen Bescheid wussten, dass diese Schmerzmittel abhängig machen und sie haben sie trotzdem in den Markt geworfen."
Und Robert Carlaco glaubt an den Erfolg seiner Klage, denn auch die Zigarettenindustrie, so sagt er, erschien einmal unangreifbar und musste schließlich hunderte von Milliarden an Schadenersatz bezahlen.
Tom weiß: wer einmal süchtig war, kommt nur schwer davon los.
Ein Beitrag von Markus Schmidt
Stand: 11.07.2019 18:57 Uhr
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