Mo., 09.05.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Aleppo: Leben unter Bomben
Es ist nicht viel übrig von Abd Alkaders Haus. Vor genau einer Woche wurde es von Bomben zerstört. Er weiß nicht, ob es die Syrische Armee oder die Russen waren. Er weiß nur, dass er seine Familie lebend aus den Trümmern retten konnte, sagt er dem Kameramann Fadi Alhalabi, der all diese Bilder gedreht hat.
Nicht alle Familien haben so viel Glück. Abd Alkader ist beim Zivilschutz in Aleppo, bei den "Weißen Helmen". Er hat schon viele Leichen aus Trümmern gezogen. "Kampfflieger am Himmel, Achtung an alle", funkt Abd Alkader an die Zentrale. "Kampfflieger von Westen."
Im Moment ist es ruhig in Aleppo. Nur vereinzelt gibt es Explosionen. Aber die Männer vom Zivilschutz glauben nicht, dass es so bleiben wird. Was ist los? fragt der Kollege. Wann werden wir diese Flugzeuge endlich los sein? Wir müssen beten.
Syriens Machthaber Assad hat angekündigt, er wolle Aleppo und ganz Syrien zurückerobern. "Ich habe Massaker überall in der Stadt gesehen", sagt Abd Alkaders Kollege. "Sie haben Aleppo zerstört."
Das war Aleppo vor fünf Tagen. Die Feuerpause vom Februar war endgültig zusammengebrochen. Bomben auf Viertel, in denen die Rebellen sich eingegraben haben.
Vor allem Bomben auf Zivilisten
Mittlerweile schweigen die Waffen wieder. Bis Dienstag früh gelte eine neue Feuerpause, heißt es.
Der Arzt Abu Luay kümmert sich um ein Neugeborenes: das Kind leidet an Atemnot, wie viele Kinder in Aleppo. Wegen der Luftverschmutzung durch Staub und Sprengstoffreste in der Stadt, sagt er. Der Arzt ist ein Gegner des Assad-Regimes.
"Die Angriffe gelten ganz gezielt ziviler Infrastruktur. Medizinische Versorgung, Schulen, Zivilschutz-Einrichtungen, Lagerhäuser für Hilfslieferungen und allgemein der Versorgung der Zivilbevölkerung mit Hilfsgütern", sagt Abu Luay. "Diese brutalen Attacken der letzten Wochen sollen die Bevölkerung aus Aleppo vertreiben, damit das Regime die Stadt leichter stürmen kann."
Die neue Feuerpause lässt jetzt die Demonstrationen gegen Syriens Regierung wieder aufleben. Friedliche Proteste. Zehn Tage sind sie ausgefallen, weil die Angriffe zu heftig waren. Auch jetzt ist es nur eine Atempause, glauben die Demonstranten.
"Die Revolution wird weitergehen, bis Assad fällt", sagt eine Demonstrantin. "Wir demonstrieren, bis es so weit ist. Er darf keine Rolle in irgendeiner Übergangsregierung spielen. Assad ist ein Kriegsverbrecher, er kann kein Teil des neuen Syriens sein." Und eine andere Demonstrantin meint: "Die Leute hier sind alle Ärzte oder Mitarbeiter beim Zivilschutz oder Aktivisten aus ganz verschiedenen Bereichen. Sie wollen den Leuten hier helfen, die dauernd bombardiert werden. Sie habe keine Angst vor dem Tod. Sie wollen einfach nur helfen."
Jeder Tag ist ein Überlebenskampf
Sobald es keine Angriffe gibt, beginnt das Leben wieder. Malek Ajuri war einkaufen, ein paar Tomaten, Gurken. Ihre Wohnung wurde von einer Fassbombe zerstört. Sie selbst dabei verletzt. Ihr Mann war schon zuvor bei einem Bombenangriff umgekommen. Jeder Tag ist ein Überlebenskampf. Sie haben nichts mehr.
Malak Ajuri lebt in einem alten Lagerhaus mit ihrer alten Mutter und den drei Kindern ihres Bruders. Von dem fehlt seit Jahren jede Spur. "Wir haben alles verkauft, was wir hatten. Es ist nichts mehr übrig. Diese Teekanne gehört eigentlich einer Familie aus Idlib, deren Haus auch zerstört wurde. Der Schrank gehört ihnen auch. Wir haben alles verkauft, damit wir etwas zum Essen haben."
Fatima malt gerne, am liebsten Kriegsszenen. Sie ist zwölf und geht erst in die zweite Klasse. Denn die Schule fällt immer wieder aus. Erst vor kurzem wieder hat der Direktor sie wegen der Bombenangriffe nach Hause geschickt. "Ich hab doch keine Angst. Ich bin zum Direktor gegangen und habe ihn gefragt: warum habt ihr die Schule geschlossen? Wir waren mitten in einer Prüfung, und die fällt jetzt aus, nur wegen der Bombenangriffe."
Es gibt einen Alltag in den Rebellenvierteln der Stadt. Ein Heute, ein Jetzt-in-diesem-Augenblick. Aber solange der Krieg andauert, gibt es keine Zukunft.
Diese Bilder sind nicht objektiv. Sie sind von Kameraleuten gedreht, die in Aleppo lebt. Sie haben keine Waffen, sie haben Kameras. Und sie bilden nur das Elend in den von den Rebellen gehaltenen Stadtteilen Aleppos ab. Natürlich sterben Zivilisten auch auf der Gegenseite.
Ein Beitrag von Volker Schwenk
Stand: 11.07.2019 18:57 Uhr
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