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Nicaragua: Die verratene Revolution

Nicaragua: Die verratene Revolution | Bild: imago

Einst war Präsident Daniel Ortega der Hoffnungsträger der sandinistischen Revolution, doch jetzt lässt er auf das Brutalste seine Gegner verfolgen. Seit Wochen ist das Land im Ausnahmezustand. Angefangen hatte es, weil Bürger gegen die geplanten Sozialreformen protestierten. Seitdem herrschen staatliche Gewalt und Terror in Nicaragua.

Patronenhülsen in einer Hand
Auch Kirchen werden angegriffen  | Bild: SWR

Es geht nicht. Pater Zamora kann die Hand nicht ruhig halten. "Das ist die natürliche Reaktion auf das was ich erlebt haben…ich habe zwei junge Menschen sterben sehen. Mit den jungen Leuten einen Angriff überlebt, der 16 Stunden dauerte." Nichts scheint mehr heilig in Nicaragua. Polizisten und Paramilitärs haben eine Kirche angegriffen. "Hier sehen sie die Einschusslöcher." Zwei Kugeln stecken noch im Tabernakel. Drei im Bild von Jesus. Pater Zamora kam am 13. Juli zwischen die Fronten. Studenten der benachbarten Universität fliehen in die Kirche, um ihr Leben zu retten. "Überall sind Polizisten, die junge Menschen aus ihren Häusern holen, um sie ins Gefängnis bringen."

Das Land ist gespalten

Was Nicaragua erlebt kam für viele unerwartet. Weil der Präsident immer autoritärer regiert, kommt es im April zu Studentenprotesten. Die Polizei reagiert hart, tötet Demonstranten. Da explodiert der Konflikt. Es sterben etwa 400 Menschen, meist Demonstranten aber auch 20 Polizisten. Jetzt ist das Land gespalten, Wirtschaft und Tourismus sind eingebrochen. Durch die Härte der Staatsmacht, erobern die schwarz-roten Fahnen der Regierungspartei allmählich die Straßen zurück. Karen und ihre Freunde marschieren mit. Frieden wollen sie. Aber es soll ihr Friede sein. "Wir kämpfen um zu siegen! Wir lassen sie nicht durch." 400 Tote seit April? Eine Lüge. Mordende Polizisten? Eine Lüge. Karens Realität ist eine ganz andere: "Die Demonstranten töten selbst" behauptet Karen Leiva von der Sandinistische Jugend. "Ja, auch junge Leute, leider, um das Chaos im Land zu schüren." Anhänger rufen "Ni un paso atras"

Rosario Murillo und Daniel Ortega auf Podium bei Veranstaltung
Das Präsidentenpaar regiert mit harter Hand | Bild: SWR

Das Präsidentenpaar bringt seine Anhänger auf Linie. Sie sprechen zwar von Liebe und Vergebung, dämonisieren aber ihre Gegner. "Der Terrorismus der Putschisten, ist am Ende nichts anderes als ein teuflisches Ritual", meint Vizepräsidentin Rosario Murillo. "Pervers. Bösartig". "Es sind mörderische Putschisten", sagt Staatspräsident Daniel Ortega. "Mörder, die kamen, um den Frieden des Volkes zu zerstören." Was für eine Ironie. Daniel Ortega, verbietet das, wofür er selbst kämpfte. Er war der Revolutionär, der vor 40 Jahren einen Diktator verjagte – für eine gerechtere Gesellschaft: "Dies ist die Demokratie… mit Meinungsfreiheit". so Daniel Ortega im Juli 1989. Dieser Mann unterdrückt nun also jegliche Meinungsfreiheit, macht Andersdenkende zu Verbrechern. "Man führt keinen Dialog mit Terroristen", sagt Karen Leiva von der Sandinistische Jugend.

Die Polizei geht mit aller Härte vor

Wir wollen mit den vermeintlichen Terroristen reden. Viele Studenten sind untergetaucht. Werden wir verfolgt? Wir wollen die Polizei nicht zu ihnen führen. Und auch Maria darf nicht auffliegen. Denn sie will den Studenten weiterhin helfen. "Ich habe Krebs, ich kann heute oder morgen sterben. Aber wenn ich sterbe, dann mit dem ruhigen Gefühl, dass ich etwas Gutes getan habe. Für die Menschen, die ich liebe, für mein Land." Das Versteck könnte nicht trostloser sein. Zwei Studenten, die demonstriert haben, die offen ihr Gesicht zeigen. Das also sind für Ortega Terroristen. Die dritte – wir nennen Sie Sara - leidet unter großer Angst. "Hast du die Schlaftabletten", fragt Maria. "Ach. Mist, die habe ich vergessen", antwortet Sara. "Schläfst du immer noch nicht?" "Nein". Maria muss weiter.

Narbe auf Bein
Wer demonstriert lebt gefährlich  | Bild: SWR

Sara war eine Medizinstudentin mit besten Noten. Sie will, dass die Welt da draußen ihre Geschichte hört. "Am Freitag dem 13.Juli griffen sie die Universität an. Ich ging mit meiner Arzttasche los, wollte all Jenen helfen, die verletzt wurden. Es war klar erkennbar, dass ich Ärztin bin." Sara wird von zwei Kugeln getroffen, eine zerschlägt den Oberschenkel-Knochen. Fünf Stunden liegt sie blutend in der Kirche von Pater Zamora. Erst kommt sie in ein Krankenhaus. Einige Tage später aber wird sie von der Polizei mitgenommen. "Wenn ich nicht sagte, was sie hören wollten, schlugen sie mich, sie traten mich und ich fiel auf die Knie und sie schlugen auf die Wunde. Sie zwangen mich auch Kniebeugen zu machen bis ich es nicht mehr ausgehalten habe, der Schmerz war unerträglich. Der Missbrauch ist auch sexuell. Sie machen es und es ist ein traumatisches Erlebnis. Du willst es verdrängen, sagen: es ist nicht passiert. Aber es ist passiert."

Wer diese Geschichten hört versteht, warum der Protest allmählich versiegt. Wer sich noch auf die Straße traut lebt gefährlich. Die erstarkten Regierungsanhänger umzingeln ihre Gegner, um zu verhindern, dass die Demonstration überhaupt beginnt. Es fallen Schüsse. Ein Mann wird verletzt. Den Dialog mit der Kirche gibt es nicht mehr. Wie kann es jetzt noch einen versöhnlichen Frieden geben? "Das hier ist eine Zeitbombe", meint Pater Zamora, "wir müssen sie entschärfen, sonst knallt es bald wieder. Der Dialog könnte der Weg sein, der wird aber noch nicht ernst genommen." Es kehrt vielleicht bald Ruhe ein in Nicaragua, aber kein Frieden.

Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko-Stadt

Stand: 28.08.2019 02:16 Uhr

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