So., 11.12.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Nord-Irak: Bomben auf iranische Kurden
Seit Wochen versucht der Iran, die Kurden für die Protestbewegung gegen ihr Regime verantwortlich zu machen. Im eigenen Land geht die Revolutionsgarde besonders hart gegen die kurdische Bevölkerung im Westen der islamischen Republik vor. Aber auch im Ausland, in den angrenzenden kurdischen Gebieten im benachbarten Irak. Dort beschuldigt das Regime kleine iranisch-kurdische Oppositionsparteien, die Proteste zu lenken. Eine perfide Begründung für Bomben auf die Dörfer von Geflüchteten und ein Ablenkungsmanöver des Regimes in Teheran.
Iran beschießt iranische Exilgruppen im Irak
Große Pause auf dem Hof einer besonderen Schule. Wenn hier die Glocke schlägt, geht es nicht nur um Lesen, Schreiben oder Mathe. Die Klasse soll Zufluchtsort sein, sicherer Raum an einem unsicheren Ort. Das zumindest wünscht sich die Lehrerin Golala Taher. Sie selbst aber ist tief traurig. "Nach dem Tod meines Mannes kann ich mich kaum konzentrieren, muss immer an ihn denken. Er hätte gewollt, dass ich weiter arbeite. Ich muss den Kindern etwas beibringen." Kurdistan, Nordirak, Koya – Annäherung an eine Kleinstadt, die immer mehr in einen großen Konflikt hineingezogen wird. Irgendwo dahinten, hinter den Bergen liegt der Iran. Das Land, aus dem hier viele stammen, das Land, das jetzt Raketen auf sie schießt.
Jahrelang lebten hunderte Flüchtlingsfamilien in dieser Lager-Siedlung am Rande der Stadt. Das hier war die Schule. Erst wird uns verboten zu filmen, sie haben Angst weitere Angriffe zu provozieren. Dann führt uns dieser Mann doch herum. "Ballistische Raketen, Drohnen, alles ging auf uns nieder", erzählt Karim Farkhapur. "Sie haben die ganze Siedlung angegriffen, obwohl hier etwa 220 Kinder zur Schule gehen. Viele waren gerade hier. Etwa 20 von ihnen wurden verletzt." Gestorben seien alleine an jenem Tag vor zwei Monaten dreizehn Menschen, darunter auch der Ehemann von Lehrerin Golala.
Iranische Exilgruppen unter Druck
Treffen im Lehrerzimmer. Weil ihr Schulgebäude zerbombt ist, teilen sie sich jetzt die Klassenzimmer mit einer anderen Schule. Jeden Tag müssen sie die Stundenpläne neu koordinieren. "Bildung ist für uns sehr wichtig" sagt Schuldirektor Nabz Akram. "Nur so werden unsere Kinder eines Tages dem Land, aus dem wir vertrieben wurden die Freiheit geben können. Jetzt ist das Land ja noch vom Iran besetzt." Patriotische Lieder als Teil der Erziehung. Es geht um die Peschmerga, kurdische Kämpfer. Politisch aufgeladen ist hier fast alles. Verwaltet wird die Schule von der KDPI, einer im Iran verbotenen kurdischen Exil-Partei mit bewaffnetem Arm. Auch alle Lehrer sind stolze Mitglieder. "Wir erklären den Kindern, dass uns die iranische Regierung früher unterdrückt hat", sagt Golala Taher. "Im Unterricht können sie mehr über unsere Geschichte und unsere Kultur lernen, die kurdischen Traditionen. Wir erklären ihnen, wie wichtig es ist unserem Volk und unserer Partei zu dienen."
Sätze, die hier in Koya nicht jedem gefallen. Dass die Stadt Hochburg iranischer Exilgruppen ist, hat hier, wo ja sonst vor allem irakische Kurden leben, lange Zeit niemanden gestört. Doch jetzt, da Koya regelmäßig bombardiert wird, wächst die Ablehnung gegenüber den Zugereisten. Der Bürgermeister bittet zum Gespräch. "Es würde sicherlich weniger Probleme in Koya geben, wenn die Flüchtlinge aus dem Iran nicht hier wären", sagt Tariq Haidari. Und: Wenn die Präsenz ihre Partei in der Stadt kleiner wäre, würden die Bombardierungen aufhören und Koya sich endlich besser entwickeln."
Iran nutzt Kurden als Sündenbock
Es verläuft ein Graben durch Koya. Die einen fürchten die Konfrontation mit dem Iran, die anderen wünschen mehr kurdische Solidarität. Ein Sprecher der angegriffenen Partei zeigt uns Bilder früherer Parteichefs, ermordet von iranischen Agenten in den 80ern und 90ern. Die Iraner hätten die Kurden doch schon immer als Sündenbock benutzt, sagt er – auch jetzt wieder, um von Unrecht und Unzufriedenheit in der eigenen Bevölkerung abzulenken. "Das Regime in Teheran beschuldigt unsere kleine Exilgruppe, Waffen über die Grenze zu schmuggeln, große Militäroperationen im Iran durchzuführen. Nichts von dem ist wahr", so Parteisprecher Mohammed Nazif Ghaderi.
Zurück bei Golala Taher. Seit dem Tod ihres Mannes kümmert sie sich jetzt alleine um ihre Kinder. Nachdem das Camp beschossen wurde, zogen sie in eine Mietwohnung, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Eine Zwischenlösung – auf unbestimmte Zeit. "Meine Kinder fragen mich immer, ob wir bald wieder bombardiert werden, ob wieder Menschen sterben. Ja, wir brauchen Sicherheit, aber auch Dokumente. Mein Mann hatte eine Aufenthaltserlaubnis, jetzt wird es schwer, eine neue zu bekommen." Sachen, die sich jetzt regeln muss, obwohl sie dafür eigentlich keine Kraft hat. Sie trauert um ihren Mann, aber auch um all die anderen Toten der letzten Wochen. "Ich bin stolz, Frau eines Märtyrers der Peschmerga zu sein. Ihm und den anderen sind wir schuldig, dass wir weiter Opfer bringen und unsere Heimat weiter verteidigen." Zurzeit ist Koya ihre Heimat. Auch wenn manche hier Menschen wie sie nicht mehr in der Stadt haben wollen, sie möchte bleiben, sagt Golala. Oder aber eines Tages glücklich als Kurdin drüben hinter den Bergen in einem freien Iran leben.
Autor: Simon Riesche, ARD-Studio Kairo
Stand: 11.12.2022 21:02 Uhr
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