So., 11.12.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Iran: Geflüchtet vor dem Regime
Banou hat es geschafft. An einem Sonntag Ende November kommt sie mit einem Flugzeug in München an. Weil sie an den Protesten in Teheran teilgenommen hatte, war sie verhaftet worden. Nach einer Woche kam sie auf Kaution frei, und irgendwie hat sie es geschafft, mit ihrem Mann das Land zu verlassen. Sie will reden. Dass sie unter Schock steht, merkt man ihr an. Unter Tränen berichtet Banou, wie sie im Gefängnis in Teheran junge Mädchen gehört hat, die um Gnade gefleht haben. Die Berichte über Vergewaltigungen seinen wahr, sagt sie.
Frau – Leben – Freiheit
"Frau- Leben- Freiheit" … Wir waren so zuversichtlich, sagt mir Banou und schickt mir dieses Video von sich und ihrem Mann. Das war Anfang Oktober, das einzige, das es noch gibt. Doch plötzlich packten uns bewaffnete brutale Männer des Regimes von hinten, erzählt sie mir, und zerrten uns ins Auto. Banou und ihr Mann Navid kommen ins Gefängnis. Sie und mehr als 18.000 Menschen sind seit Beginn der Proteste im Iran verhaftet worden. Die Gefängnisse sind brechend voll. Ihre Angehörigen, Eltern, Verwandte stehen tagelang, manchmal wochenlang davor und warten auf ein Lebenszeichen.
Als ich von einem Freund höre, dass Banou auf Kaution freigekommen sei, versuche ich sie zu erreichen. Immer wieder bricht die Verbindung ab, das Regime drosselt das Internet, die Bilder der Brutalität soll die Welt nicht zu sehen bekommen. Dann sehe ich sie. Nur kurz. "Ich bin draußen, aber meine Gedanken sind permanent bei denen, die noch im Gefängnis sind. Wir waren doch nur mit leeren Händen auf die Straße gekommen, unbewaffnet verteidigten wir uns. Das Regime stürmt die Wohnungen der Protestierenden, sie töten die Kinder vor den Augen ihrer Mütter und Väter, Sie können sich nicht vorstellen, was wir hier alles Schreckliches sehen." Wir haben auch von Vergewaltigungen im Gefängnis gehört. Hast Du sowas selbst gesehen? "Ja. Sehr viel. Ich kann nachts nicht mehr schlafen. Ich nehme Beruhigungstabletten." Dann bricht die Verbindung ab. Heute Nacht will sie den Iran verlassen, ob sie über die Grenze kommt, weiß sie nicht. Ab diesem Zeitpunkt habe ich keinen Kontakt mehr. Lässt das Regime sie ausreisen? Steht sie auf einer Liste? Ich weiß es nicht. Sie auch nicht.
Exil-Iraner fühlen sich machtlos
Diejenigen, die von außen zusehen müssen, was den Menschen in ihrer Heimat angetan wird, können es kaum ertragen, fühlen sich machtlos. "Für mich ist es sehr emotional", sagt Hayberd Avedian. Es ist sehr emotional, wenn ich sehe, dass sie getötet werden, dass sie mit Waffen erschossen werden, dass sie elektrische Schocks bekommen. Sie werden brutal festgenommen und wir wissen jetzt mittlerweile, dass die Frauen, vor allem 15 bis 16jährige Mädchen vergewaltigt werden und danach getötet." Dass das Regime menschenverachtend handelt, ist für Hayberd nicht neu. Genau deshalb lebt er jetzt in Deutschland, denn im Iran wäre es für ihn sehr gefährlich. Er erzählt uns vor laufender Kamera, was er bis jetzt noch nie öffentlich gesagt hat. "Darüber hinaus war es so, dass ich homosexuell bin. Nicht binär und homosexuell. Wir werden aufgehängt, wir werden hingerichtet." Er hat sein Schweigen gebrochen. Hayberd erzählt uns, dass endlich die ganze Wahrheit über das brutale Regime der Islamischen Republik ans Licht kommen muss.
Aufmerksamkeit auf die Situation der Menschen im Iran zu schaffen, ist im Moment das Einzige, was er tun kann. Und er ist nicht allein. Mehr als 80.000 Menschen kamen vor ein paar Wochen in Berlin zusammen. Jeder im Iran ist gefühlt Minderheit, wenn er nicht zur Machtelite gehört. "Viele können das nicht durchhalten und begingen Selbstmord. Ich war auch einer von denen. Ich habe es auch dreimal versucht, gescheitert. Gott sei Dank. Aber ich habs versucht. Man hat keine andere Möglichkeit und keine andere Wahl, deswegen macht man das." Selbstmord als letzte Option.
Vergewaltigung als Waffe
In Berlin rufen sie: Lasst die politischen Gefangenen frei. In den iranischen Gefängnissen, hier seltene Aufnahmen aus dem Foltergefängnis Evin in Teheran, die von einer Hackergruppe veröffentlicht wurden, wird gefoltert, gedemütigt. Und, das Regime setzt auch Vergewaltigung als Waffe ein. Immer öfter hört man von Mädchen, die in den Zellen vergewaltigt werden und sich nach der Entlassung umbringen. Ich warte am Flughafen München auf Banou und ihren Mann. Haben sie es geschafft außer Landes zu kommen? In der Nacht vor ihrem Abflug sagte mir Banou, dass sie heute ankommen würden. Seitdem hatte ich keinen Kontakt. Dann kommen sie. Sie haben es geschafft. Man sieht Banou noch den Schock an, sie bekommt kaum Luft vor Angst. Und dann bricht es aus ihr heraus, sie erzählt von den Vergewaltigungen im Gefängnis. "Ich habe ihre Schreie gehört. Ich habe gewusst, was sie machen. Ich habe die Schreie gehört von jungen Mädchen, sie sind so jung gewesen. Ich höre diese Schreie immer noch. Sie schrien, als würden sie Schmerzen erleiden. Sie schrien: Nein, ich will nicht, lass es, fass mich nicht an. Sie schrien nach ihren Müttern: Mama, Mama, Mama…"
"Als meine Frau verhaftet wurde dachte ich nur an eines: Vergewaltigung", sagt Navid. "Habt ihr gewusst, dass in den Gefängnissen Vergewaltigungen stattfinden?" "Ich hatte keine Zweifel. Die vergewaltigen Männer, Frauen sowieso". Den beiden ist es unglaublich schwergefallen, über die Vorfälle im Gefängnis zu sprechen. Doch sie haben sich dazu entschieden, ihr Schweigen zu brechen.
Autorin: Natalie Amiri
Stand: 13.12.2022 16:43 Uhr
Kommentare