Mo., 10.09.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Österreich: Gnadenhof für Versuchsaffen
Ein Leben lang wurden die Schimpansen in Pharma-Laboratorien gequält, eingepfercht in kleinen Käfigen, das Tageslicht sahen sie nicht. Weil eine Initiative das Geld dafür bereitstellt, dürfen sie jetzt in Würde ihre letzten Jahre verbringen.
"Die meisten von unseren Schimpansen sind Wildfänge", erklärt Bettina Gaupmann, Tierpflegerin im Affenrefugium Gut Aiderbichl. "Das heißt, wirklich so, wie man sich das vorstellt: in Afrika die Mütter, die Familien der Schimpansen getötet; die Babys sind in Kisten gekommen und sind dann nach Österreich gekommen und waren dann fast 20 Jahre lang einzeln gehalten in kleinen Käfigen im Labor." Und Tierpflegerin Renate Foidl ergänzt: "Das meiste, was man ihnen angetan hat, abgesehen natürlich davon, dass man sie infiziert hat, um zu sehen, ein Medikament zu finden für HIV, ist eigentlich, dass man sie seelisch wirklich zerstört hat."
Traumatisierte Affen müssen vieles neu erlernen
Ein Hochsicherheitstrakt in einem abgeschirmten Gelände nahe der Grenze zur Slowakei. Hier hat die Tierschutzorganisation "Gut Aiderbichl" knapp 40 ehemalige Laboraffen aufgenommen. Die meisten haben jahrzehntelang die Sonne nicht gesehen. Die isoliert gehaltenen Schimpansen waren schwer traumatisiert und mussten erst mühsam lernen, mit Artgenossen auszukommen. Kaum vorstellbar, dass der Handel und die Haltung geschützter bzw. gefährdeter Tiere in solchen fensterlosen Versuchslabors erst im Jahr 1997 durch EU-Verordnung endgültig verboten wurde, auf der Grundlage des Washingtoner Artenschutzübereinkommens. "Es waren sehr viele große Schritte für die Schimpansen zu erlernen" sagt Tierpflegerin Bettina Gaupmann, "angefangen von 'Wie klettere ich auf einen Baum', 'Wie sage ich einem anderen Schimpansen hallo', 'Wie kann ich mich selbst ausdrücken als Schimpanse, um Kontakt aufzunehmen mit anderen Schimpansen'".
Bevor die Schimpansen morgens zum Frühstück ins Freigehege gelassen werden, kontrollieren die Tierpflegerinnen Renate und Bettina, ob hier alles sicher ist. Schließlich sind die Affen HIV-positiv. Ihr später Triumph über die Forschung: die Schimpansen erkranken selbst nicht, können aber das Virus übertragen. Deshalb rundum Elektrozäune und Panzerglasscheiben. "Bei den Fensterrahmen schaut man natürlich auch, ob nicht eine Dichtung lose ist, so dass es sicher ist für die Affen – und für die Menschen", sagt Tierpflegerin Renate Foidl. Im Freigehege wie auch in ihrem Quartier bleiben die Affen unter sich. Mit den betreuenden Menschen gibt es lediglich Sichtkontakt durch die Panzerglasscheiben hindurch. Innerhalb ihrer Gemeinschaft haben sie so nach und nach ursprüngliche Verhaltensweisen wieder erlernt, wie etwa die demonstrative Revierabgrenzung. Überlebenswichtig in der freien Wildbahn.
Die Finanzierung ist unsicher
Doch nur noch bis zum kommenden Jahr ist die Finanzierung dieser Art von später Entschädigung durch einen US-Pharmakonzern gesichert. Dann muss die gemeinnützige Stiftung "Gut Aiderbichl" andere Geldquellen auftun. Das Schicksal der im Dienst an der Forschung malträtierten Menschenaffen ist also wieder einmal ungewiss. Die Dankbarkeit der Pharmaindustrie für ihren opfervollen Weg währt offensichtlich nicht allzu lange. Da wirkt es fast paradox, dass sich die von Menschenhand gequälten Schimpansen nicht von ihren nächsten Artverwandten abwenden. "Es ist erstaunlich, dass die Affen einen auch wirklich kennenlernen wollen", meint Tierpflegerin Renate Foidl. "Das heißt, sie nehmen auch Kontakt auf und darum ist es für mich manchmal auch der Gedanke, ob sie das noch wissen, was ihnen angetan worden ist. Oder ob sie einfach auch verzeihen können. Im Endeffekt ist es so, dass die Affen im Alltag nach vorne schauen und wollen jeden Tag einen normalen Schimpansen-Tag haben." Doch während diese Tiere das größte Leid bereits hinter sich haben, gibt es zahlreiche andere Gattungen, etwa Rhesusaffen, die nach wie vor zu Forschungszwecken in Käfigen gehalten werden. Ihr Pech: sie gelten – anders als diese Schimpansen – als "nicht gefährdet".
Autor: Michael Mandlik, ARD-Studio Wien
Stand: 28.08.2019 02:16 Uhr
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