Mo., 16.01.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Pakistan: Terror gegen Sufis
Sie singen von Liebe und sie ernten Hass. Seit vielen Jahrhunderten gibt es den Sufismus in Pakistan, eine mystische Form des Islam. In heiligen Schreinen feiern Sufis und zahlreiche Anhänger ihren Glauben, singend und betend, oft bis sie in einen tranceartigen Zustand verfallen. Radikalen Islamisten sind das gemeinsame Feiern von Männern und Frauen und die liberale Auslegung des Islam ein Dorn im Auge.
Terrorgruppen wie der IS und die pakistanischen Taliban verüben immer häufiger Anschläge auf prominente Sufi-Geistliche. Doch die Pilger wollen sich nicht einschüchtern lassen. Sie treffen sich weiter zu Hunderttausenden. Ihre Botschaft – so sagen sie – ist Liebe. Liebe, die den Haß besiegen wird.
Karatschi ist eine laute und quirlige Stadt. Nur in dieser Straße ist es still. Die Menschen wirken bedrückt. Sie trauern immer noch um ihn: Amjad Sabri. Sein letzter Fernsehauftritt in einer erfolgreichen Musikshow. Er singt, wie immer, eine Ode an Gott und die Liebe. "Ehrlich gesagt, ging es bei ihm immer um Einheit und Frieden", sagt der Musikproduzent Zohaib Kazi, "eben genau das, was wir gerade jetzt in der Welt brauchen." Sein Thema auch in seinem letzten Fernsehinterview. "Ich sage das allen Menschen in Pakistan und in Indien und überall auf der Welt, egal welcher Religion sie angehören: Das Wichtigste im Leben, die beste Form der Anbetung, besteht darin, Menschen zu helfen", so der Sufi-Sänger Majda Sabri. Für diese Botschaft der Liebe erntete er Hass. Er wurde auf offener Straße erschossen. Die pakistanischen Taliban bekannten sich zu der Tat. Amjad Sabri habe Gott gelästert, mit seiner oft unorthodoxen Interpretation des Korans.
Singen und Beten bis zur Trance
Ein halbes Jahr später. Das Haus, in dem er lebte, wird von Sicherheitskräften bewacht. Die Familie Amjad Sabris wohnt noch hier. Auch sie hat Drohungen erhalten. Ist im Visier der Terroristen. "Wir stehen alle noch unter Schock und verstehen nicht, wie man ihn töten konnte", sagt seine Mutter Asghari Begum. "Er hat doch nie Irgendwem etwas Böses angetan. Er war so liebevoll." Besonders eng war sein Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder. Ihn lernte er an, nahm ihn mit auf Tournee. Als "Sabri Brothers" traten sie in vielen Ländern auf, auch in Deutschland. Überall wurden sie gefeiert. "Aber einige Leute lehnen die Botschaft der Liebe ab", sagt Talha Sabri. "Sie sind es, die Pakistan terrorisieren und Menschen wie meinen Bruder bekämpfen."
Dabei hat der Sufismus, eine mystische Form des Islam, in Pakistan eine lange Tradition. Die meisten Muslime hier fühlen sich dem Sufismus verbunden, egal, ob sie der sunnitischen oder schiitischen Richtung angehören. Sie feiern ihren Glauben an Stätten wie dieser – singend und betend, oft, bis sie in eine tranceartigen Zustand verfallen. Auch Amjad Sabri kam regelmäßig her. "Er hat Pakistan, und darauf sind wir stolz, in aller Welt groß gemacht", meint ein Sufi. "Und auch den Sufi-Glauben."
Extremisten contra Sufis
Von solcher Aufbruchsstimmung sind die Sufis heute weit entfernt. Das zeigen die Sicherheitsvorkehrungen. In den letzten Jahren gab es über zwanzig Anschläge auf Sufi-Stätten. Beim letzten Attentat starben fünfzig Menschen. Diesmal standen nicht die Taliban, sondern der IS dahinter. Auch diese Terrorgruppe hat die Sufis zu ihren Feinden erklärt. Gesang und Tanz – aus Sicht der Extremisten unislamisch. "Wer unschuldige Menschen tötet, der ist doch kein Mensch", sagt ein Sufi. "Aber man sieht es ihnen ja nicht an. Wir können die Sicherheit erhöhen, aber uns wirklich schützen vor solchen Attacken können wir uns nicht."
Ein bettelnder Solo-Sänger statt der wöchentlichen Hauptattraktion, der Anbetungszeremonie Qawwali. Die fällt in letzter Zeit meistens aus. Aus Angst vor Selbstmordattentäter. Die Zeit der Angst begann für die Sufis hier – vor sechs Jahren am wichtigsten Sufi-Heiligtum Pakistans, dem Data Durbar Schrein. Er befindet sich in der zweitgrößten Stadt, Lahore. Viele Pilger kamen ums Leben, als sich zwei Terroristen in die Luft sprengten. Warum, versteht hier immer noch niemand. "Es waren doch Sufis, die den Islam in unserer Region verkündet haben", meint ein Pilger. "Ohne sie würde es hier doch gar keine Muslime geben. Wie kann man dann ihre Anhänger bekämpfen?"
Gerade wird ein großer Feiertag begangen, Hunderttausende sind trotz Terrorwarnungen zum Schrein gekommen. Sie stehen manchmal einen ganzen Tag lang draußen Schlange, denn die Sicherheitsvorkehrungen sind scharf und das Polizeiaufgebot mit tausendfünfhundert Einsatzkräften so groß wie nie. Drei Tage lang können die Gläubigen ohne gewalttätigen Zwischenfall ihre Rituale leidenschaftlich praktizieren.
Mit Liebe gegen den Hass
Auch die Freunde von Amjad Sabri sind überzeugt: Der Terror wird nicht die Oberhand behalten. "Ich würde sagen: Sein Blut wurde nicht umsonst vergossen. Es ist für uns eine Herausforderung, um mit unserer Botschaft weiter vorwärts zu gehen", so der Musikproduzent Zohaib Kazi. Den Blick voraus richtet auch Sabris Familie. Nun wollen sie seine Botschaft weiter in die Welt singen. "Seine Söhne werden in seine Fußspuren treten", glaubt Asghari Begum. "Jetzt sind sie noch zu klein. Solange wird das sein Bruder übernehmen." Und der ergänzt: "Es war die Mission meines Vaters, meines Bruders, und nun ist es meine Mission. Ich will nach besten Kräften das, was er angefangen hat, zum Abschluss bringen." Wie zum Beweis ruft er seine Freunde zusammen und veranstaltet spontan eine Qawwali-Zeremonie. Nicht öffentlich, das geht aus Sicherheitsgründen nur mit längerem Vorlauf. Aber zumindest die Leute draußen können zuhören, wie sie Sabris Lieblingslied singen und darin Gott bitten, dass er sie füllt: mit dem stärksten Mittel gegen den Hass. Mit Liebe.
Eine Reportage von Markus Spieker (ARD-Studio Neu Delhi).
Stand: 13.07.2019 17:03 Uhr
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