Mo., 16.01.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Türkei: Istanbuls verglimmender Glanz
Es ist derzeit nicht leicht, Gesprächspartner zu finden. Menschen, die sich bereitwillig zur politischen Situation befragen lassen. Die Angst schwingt immer mit. Selbst in der einst weltoffenen Metropole Istanbul. Die Stadt ist verwundet durch die vielen Terroranschläge. Aber auch durch eine schleichende Islamisierung.
Wo einst Partys und laute Feste angesagt waren, herrscht nun oft bedrückende Stille. Die Türkei verändert sich gerade radikal. Staatspräsident Erdogan will die Verfassung und das politische System umkrempeln, noch mehr Macht auf sich konzentrieren. Kritische Stimmen landen schnell hinter Gefängnismauern.
Istanbul. Der Schnee überdeckt vorübergehend alle Sorgen in der Metropole am Bosporus, so scheint es. Kaum noch jemand spricht über Terror oder Politik. Öffentlich schon gleich gar nicht. Ich besuche Fuat, den ich kenne, seitdem ich in der Türkei lebe. Er ist Mitbesitzer einer Wäscherei und Türkischlehrer. Fuat zögerte bevor er bereit war, mir ein Interview zu geben. Es ist nicht einfach für ausländische Journalisten in diesen Tagen in der Türkei Gesprächspartner zu politischen Themen zu finden. Wer etwas Kritisches sagt, wird schnell als Verräter denunziert. Das letzte Jahr war schwierig für das Land. Durch die Anschläge hat der Tourismus einen nie da gewesenen Einbruch erlebt. Das spüren alle, auch Fuat, denn früher ließen viele Touristen und Hotels hier ihre Wäsche waschen.
Die Hoffnung auf Frieden hat getrogen
Da wir jetzt weniger verdienen, müssen wir auf viele Dinge verzichten. Wir gehen weniger ins Kino. Wir gehen weniger in Restaurants. Wir versuchen öfter zuhause zu kochen. So versuchen wir die Lücken zu schließen. Wir bemühen uns auch, nicht zu viel einzukaufen. Nur das Nötigste eben. Ich frage Fuat, wie es den Türken in diesen Tagen geht. Sind sie eher glücklich oder unglücklich. "Wir sind zurzeit nicht so glücklich, denn es gibt immer mehr Terroranschläge. Das macht uns alle traurig."
Fuat will der Opfer der letzten großen Anschläge in Istanbul gedenken. Ich fahre mit ihm zum Stadion der Fußballmannschaft Besiktas. Hier gab es im Dezember einen blutigen Bombenanschlag, zu dem sich eine Splittergruppe der Terrororganisation PKK bekannt hat. 44 Menschen wurden in den Tod gerissen. Nach einem Jahr 2016 voller Terror war die Hoffnung groß, dass 2017 friedlicher werden würde. Doch noch in der Silvesternacht erschießt ein Attentäter in der Istanbuler Nobeldisko Reina 39 Menschen. Der sogenannte Islamische Staat bekennt sich später zu der Tat.
Die Touristen haben Angst
Nach dem Attentat haben viele Türken und Touristen vor dem Eingang der Disko Blumen und Fahnen abgelegt. Der Anschlag hat das Land erschüttert. "Wenn man vor 5 oder 6 Jahren den Namen Istanbul gehört hat, dann kam einem eine sehr dynamische Stadt in den Sinn", erzählt Fuat. "Es kamen viele Ausländer aus dem Nahen Osten, aus Europa, aus Amerika und erlebten eine Menge mit den Türken zusammen. Heutzutage ist das alles anders."
Einer, der vor Kurzem noch oft in der Disko Gast war, kommt dazu. "Dass so etwas in so einem Klub und in Istanbul passiert ist, ist für die Stadt, aber auch für das ganze Land extrem rufschädigend. Die Touristen haben Angst, sehen die Türkei mit ganz anderen Augen. Ich habe das selbst erlebt. Sie meiden uns jetzt. Wenn wir einen Schal um das Gesicht binden, fragen sie uns sarkastisch, ob wir Terroristen sind. Wir sind traurig, dass der Klub geschlossen hat."
Druck auf säkulare Werte
Fuat ist traurig über den Terror, aber auch über etwas anderes, das die Türkei verändert. Der konservativ-islamische Teil der Gesellschaft macht mehr und mehr Druck auf säkulare Türken. Wir sehen uns eine Anti-Silvester Kampagne einer türkischen Zeitung an. Diese hat tagelang vor Silvester die Leser aufgefordert, feiert nicht, weil Silvester nicht islamisch sei. Nach dem Anschlag im Reina gab es im Internet eine Diskussion darüber, ob solche Kampagnen den Attentäter aufgehetzt haben. "Bis vor ein zwei Jahren gab es noch nicht so einen Druck", meint Fuat. "Selbst Politiker feierten auf den Plätzen mit. Zum Beispiel in Istanbul trat auf dem Taksim-Platz der Bürgermeister mit Sängern auf der Bühne auf und es wurde Silvester gefeiert. Aber in den letzten Jahren hat sich der Druck erhöht. Viele haben sich dagegen gewehrt. Sie wollten nach ihren Vorstellungen weiter feiern. Andere haben aufgehört."
Es sind politisch unruhige Zeiten. Der Staatspräsident und die Regierung wollen die Verfassung ändern. Erdogan soll mehr Macht bekommen. Fuat verfolgt zuhause die 19-Uhr-Nachrichten. Er ist von der Änderung der Verfassung nicht überzeugt und gleichzeitig vorsichtig bei dem, was er sagt. "Ich finde das Angebot nicht besonders demokratisch. Wir haben doch ein Parlament. Die neue Verfassung ist nur auf eine Person ausgerichtet. Und das wollen wir so nicht. Je mehr beteiligt sind, umso demokratischer ist es doch eigentlich."
Gestern Abend im Stadtteil Karaköy. Fuat will mit uns ein neues Restaurant ausprobieren. Er sei lange nicht mehr ausgegangen. Zu teuer. Aber es sei ihm wichtig uns auch das lebendige, lebensfrohe Istanbul zu zeigen. Fuat trinkt das türkische Kultgetränk Raki, einen Schnaps aus Trauben und Anis. Er will sich seinen modernen Lebensstil weder von den Terroristen, noch von den islamisch-konservativen Gruppen im Land verbieten lassen. Und er appelliert an den Westen, die Türkei nicht zu vergessen. "Europäer, Amerikaner, Australier, alle Menschen der Welt sollten besonders jetzt in unser Land kommen und uns sagen, wir stehen an eurer Seite. Ihr seid nicht allein." Istanbul habe immer noch seine Reize, sagt Fuat. Gerade junge Menschen könnten hier jede Menge Spaß haben und man dürfe das Land nicht den Fanatikern überlassen.
Eine Reportage von Oliver Meyer-Rüth (ARD-Studio Istanbul).
Stand: 13.07.2019 17:03 Uhr
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