Mo., 14.01.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Peru: Die schmutzigste Stadt
Wir benutzen täglich Dinge, die woanders produziert wurden. Wir telefonieren mit dem Handy, trinken Wasser aus Kupferrohr-Leitungen oder nutzen Windenergie von Windrädern. All dies benötigt unfassbare Mengen an Rohstoffen; und diese werden unter anderem in Peru zu Tage gefördert. Dinge, die uns nutzen, gefördert unter Bedingungen, die für uns Europäer unvorstellbar sind.
"Wenn sie niesen, kommt häufig Blut aus der Nase"
In den Orten La Oroya und Cerro de Pasco sind die Folgen dieser Rohstoffgier – auch von uns Europäern – fatal für die Menschen. Sie leben in den wohl dreckigsten Städten der Welt, denn die Opfer werden kontaminiert durch Schwermetalle wie Schwefeldioxid, Blei und Arsen. Meist sind europäische Konzerne die Betreiber der Minen. Südamerika-Korrespondent Matthias Ebert war in dem Teil Perus, den Touristen nur selten sehen und der mit Machu Pichu so gar nichts gemein hat.
Man sieht es den Kindern auf den ersten Blick nicht an, wieviel Gift in ihnen steckt – in der Grundschule von Cerro de Pasco. Mit Konzentrationsschwächen fange es an, erklärt der Schulleiter.
"Wenn sie niesen, kommt häufig Blut aus der Nase. Sie schaffen es nicht, über längere Zeit aufzupassen. Ich bin sicher, das liegt an dem Blei im Blut", erzählt Walter Titoal Toribio, Schuldirektor Cerro de Pasco.
Die Grundschule liegt direkt neben dem Loch, das ihre Stadt Cerro de Pasco beherrscht. Ein Tagebau, gigantisch: Zink, Silber und Blei – gefördert für den Weltmarkt. Eine Mine, aufgekauft vom Schweizer Rohstoffgiganten Glencore. Für mehrere hundert Millionen Dollar. Der Preis, den die Menschen hier zahlen, ist ungleich höher. Cerro de Pasco – auf 4.300 Meter Höhe. Wer hier lebt, nimmt über das Leitungswasser Schwermetalle auf. Ein Leben lang.
"Das Blei macht uns müde. Das wirkt sich auf die Kinder aus", so Francisca.
"Ich habe Bauchschmerzen. Kopfschmerzen", so Miriam.
"Wenn ich meine Kinder bitte, eine Aufgabe zu lösen, werden sie schnell müde", so Eva.
Kämpfen für Umweltstandards
Nebenan: das Gesundheitszentrum. "Blei-Kampagne" steht auf einem Plakat. Hier können sich alle auf Schwermetalle untersuchen lassen. "Bei allen Schwermetallen, Blei, Kadmium, Kalium und Quecksilber messen wir erhöhte Werte. Alle Einwohner liegen deutlich über den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation", sagt Dr. Lanina, Gesundheitszentrum Cerro de Pasco. Eine Bürde von klein auf. Die schlimmsten Erkrankungen haben peruanische Journalisten dokumentiert: Kinder wegen vierfach überhöhten Bleiwerten – gefesselt an den Rollstuhl. Narben der Operationen.
Auf den Bergen hier liege eine zentimeterdicke Schicht aus giftigen Partikeln, heißt es. Grund sei auch eine Metallschmelze ganz in der Nähe. Der Schornstein von La Oroya bläst etwas weniger Schwefeldioxid, Blei und Arsen in den Himmel als früher, sagt Yolanda. Bis vor wenigen Jahren noch lief die Metallschmelze auf Hochbetrieb.
"Für uns war das damals normal. Wir kamen ja nie aus La Oroya raus. Deshalb dachten wir, dass es überall so aussehen muss wie hier", erzählt Yolanda Zurita, Einwohnerin La Oroya.
Die Folgen der Luftverschmutzung verfolgen die Einwohner bis heute: Chronische Krankheiten haben die meisten. Und auch: Vierfach erhöhte Bleiwerte im Blut. Mit Mitstreitern wie dem Nervenkranken Pablito hat Yolanda für bessere Umweltstandards gekämpft. Die meiste Zeit ohne Erfolg.
Zukunft der Schmelze noch offen
"Am Anfang nannte man uns Verräter. Aber das hat mir nie etwas ausgemacht. Denn mit Yolanda haben wir auch Unterstützer gehabt. Die katholische Kirche und Organisationen im Ausland halfen uns, dass der peruanische Staat unsere Vergiftung anerkennt und auch unsere Krankheiten", so Pablo Miguel Martínez, Einwohner La Oroya.
Deshalb wurde die Schmelze von La Oroya mittlerweile runtergefahren. Doch noch immer ist sie nicht still gelegt. Noch immer belastet sie die Nachbarschaft mit Schwermetallen. Die Zukunft der Schmelze ist ein heikles Thema in La Oroya. Manche wollen sie wieder hochfahren. Schließlich hängen Arbeitsplätze dran. In dieser Frage sind oft ganze Familien gespalten.
"Man sollte da natürlich immer einen Ausgleich suchen. Klar, die Schmelze braucht auch bessere Filter, damit die Verschmutzung zurückgeht", so Steven. "Mir geht es vor allem um die Gesundheit meiner Kinder. Da streite ich mich auch mit meinem Mann drüber. So wie er habe auch ich im Bergbau gearbeitet. Aber ich fordere mehr Verantwortungsbewusstsein von den Betreibern", sagt Janet.
Staat profitiert von Bodenschätzen
Einer der immer auf Seiten der Opfer stand, ist Pedro Barreto, Perus Kardinal aus der Bergbauregion. Er hat über Jahre erlebt, wie viele Todesopfer die rücksichtslose Ausbeutung der Bodenschätze kostet – meist durch ausländische Rohstoffkonzerne. "Die Kirche ist nicht gegen den Bergbau. Wir sind jedoch gegen diesen verantwortungslosen Bergbau, bei dem Peru als Staat zulässt, dass ausländische Firmen sich hier eine goldene Nase verdienen, während es gleichzeitig so bedauernswerte Konsequenzen hat für die Menschen und die Umwelt", so Kardinal Pedro Barreto.
Minenbetreiber Glencore hat auf unsere Interviewanfrage nicht reagiert. Ebenso wenig die peruanische Regierung. Der Staat profitiert von dem Reichtum, der hier im Boden steckt – ebenso Glencore. Die Zeche zahlen die, die hier leben.
"Wir fühlen uns vergessen. Im Vergleich mit anderen Städten haben wir viel für Peru und unseren Staat gegeben, aber nichts zurückbekommen. Uns geht es schlechter als anderen Städten", sagt Walter Titoal Toribio, Schuldirektor Cerro los Pasco. Ein Ort im Würgegriff der weltweiten Gier nach Rohstoffen. Wo sich Bagger durch die Erde fressen – und Gifte durch die Körper der Menschen.
Autor: Matthias Ebert/ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 12.09.2019 09:32 Uhr
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