Sa., 16.06.18 | 04:20 Uhr
Das Erste
Peru: Eine Oma als Fußballtrainerin
Peru hat sich seit 1982, seit 36 Jahren, zum ersten Mal für eine Fußball-WM qualifiziert. Seitdem ist das Land im Ausnahmezustand. Denn bislang waren die Erfolge bescheiden – dabei ist Fußball doch mit Abstand Sportart Nummer eins.
Älteste Trainerin der Welt
In einem Vorort von Lima kennt sie jeder. Ihr Markenzeichen: die weiße Kappe. Maria Angélica Ramos – so heißt die wohl älteste Trainerin der Welt. Aber jeder soll sie nur "La Vieja" nennen – 'die Alte'. Auch mit 92 Jahren steht sie vier Tage die Woche auf dem Fußballfeld. "Das macht mir Freude. Ein tolles Gefühl. Ich sehe diese Kinder, sie wachsen heran und ich alte Frau zeige ihnen, wie es geht", sagt "La Vieja".
"La Vieja" nimmt jeden Freitag die jüngsten Talente ihres Viertels unter ihre Fittiche. Sie ist kaum größer als ihre 10-jährigen Schützlinge. Das Training beginnt klassisch: Aufwärmen, dehnen. "La Vieja" ist streng.
"Springen! Hör auf zu quatschen!", "La Vieja".
"Einmal fragte mich ein Junge, ob ich krank sei. Ich fragte, warum? Er meinte, ich hätte heute noch kein einziges Mal rumgeschrienen. Da habe ich gemerkt: Meine Schreierei macht sie stark", erzählt "La Vieja".
44 Jahre Momente puren Glücks
"La Vieja" sieht sofort, wer Talent hat. Immer wieder kommen Scouts der großen Klubs hier auf den Betonplatz und picken sich "La Viejas" Talente heraus. Nach zweieinhalb Stunden ist Schluss. "La Vieja" kümmert sich um die Leibchen, den Ball und macht sich auf den Heimweg. Sie ist hier aufgewachsen. In einem Arbeitervorort von Perus Hauptstadt Lima. Ihr zu Hause ist voller Fußball-Pokale. Es müssen an die fünfzig sein, die "La Vieja" mit ihren Teams gewonnen hat. In 44 Jahren als Fußball-Trainerin. Derzeit fiebert sie mit Perus Nationalmannschaft. Bei der ersten WM seit 36 Jahren.
"Es ist ein Triumph. Wir wollten endlich wieder an einer WM teilnehmen. Ein Traum wird wahr", so "La Vieja".
Ihr Mann hatte einst ihre Fußballleidenschaft entfacht. Doch der ist längst gestorben. Geblieben ist "La Vieja" nur der Fußball. Momente puren Glücks.
"Wenn mir jemand meinen Fußball wegnimmt, werde ich sterben. Das ist sicher. Ich habe doch nichts anderes", erzählt "La Vieja".
Trainierin und Ersatz-Mutter
Einkäufe macht "La Vieja" auch mit 92 noch selbst. Dabei trifft sie stets Bekannte. Diese Nachbarinnen sind zwar 17 Jahre jünger, aber "La Vieja" hängt sie – natürlich – leichten Fußes ab. Kaum jemand, den sie nicht trainiert hat. Nur weil es die Krankenversicherung so will, geht "La Vieja" jeden Tag zum Blutdruckmessen.
"Als sie mir ihr Alter sagte, habe ich gestaunt. Andere in ihrem Alter sitzen im Rollstuhl oder gehen am Stock. Sie ist so fit", sagt Ignacio Yanasca, Apotheker.
Jeden Tag nimmt "La Vieja" – beinahe mühelos – die Stufen zu der Nachbarsfamilie, die ihr ans Herz gewachsen ist.
Mittagessen bei Rosa Perez. Es gibt Reis mit Kutteln.
Einer von "La Viejas" ersten Fußballschülern war Rosas Sohn Giomar. Und sogar mehr als das. La Vieja gab ihm Ratschläge, sorgte sich um ihn wie ein Ersatz-Mutter.
"Ich habe drei Kinder und alle sind gut geraten. Sie haben keine Laster, sind nicht kriminell. Ich verdanke das "La Vieja", die sie streng erzogen hat", berichtet Rosa Perez, Mutter von Giomar.
Kuchen verkaufen um Hobby zu finanzieren
Trotz allem lebt "La Vieja" einfach. Sie kriegt nur wenig Unterstützung vom Staat und muss manchmal Kuchen verkaufen, um ihr Hobby Fußball finanzieren zu können. "Mir fehlen Trikots für die Kinder. Das tut mir weh. Vielleicht kann ich mir die irgendwann leisten, aber jetzt habe ich kein Geld", sagt "La Vieja". Aufhören kommt für „La Vieja“ nicht in Frage. Sie will auch die Kinder ihrer früheren Schützlinge bis zum Schluss trainieren. So lange wie es eben geht.
"Wenn der da oben sagt, ‚Vieja, es ist Zeit‘, werde ich für immer gehen. Auf jeden Fall sterbe ich auf einem Fußballplatz", so "La Vieja".
Lebenselixir Fußball – für die wohl älteste Trainerin der Welt in Peru.
Bericht: Matthias Ebert / ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 05.08.2019 03:50 Uhr
Kommentare