Sa., 16.06.18 | 04:20 Uhr
Das Erste
Russland: Die Wanderarbeiter der WM
Moskau putzt sich raus. Russland will glänzen – auf der grossen Weltbühne. Es soll die beste WM aller Zeiten werden.
Putins Prestigeprojekt
12 Stadien in 11 Städten. Sie haben sie gebaut. Arbeitsmigranten aus Zentralasien. Um Geld zu sparen, mussten Arbeiter auf den Baustellen schlafen. Einer von ihnen – der 28-jährige Said. Er kommt aus Tadschikistan. Jetzt vor der WM arbeitet er rund um die Uhr. Einen Teil seines Lohns schickt er seiner Familie nach Tadschikistan. Doch rund um die WM gerät er immer wieder an Arbeitgeber, die ihn um seinen Lohn bringen.
"Mehr als die Hälfte der Migranten, die ich kenne, geraten an Betrüger. Es gibt viele Arbeitgeber, die den versprochenen Lohn überhaupt nicht auszahlen. Ich habe das am eigenen Leib erfahren. Oder sie geben nur einen kleinen Teil und rufen dann die Polizei, damit sie die Arbeiter ausweisen. Das habe jetzt schon oft gesehen", berichtet Said, Arbeiter aus Tadschikistan.
Nachts sei es besonders schlimm. Beim Einkaufen vor einigen Supermärkten lauerten Polizisten den Arbeitern sogar auf und verlangten Geld von ihnen.
"Es bleiben am Ende vielleicht 60 Euro im Monat. Das wars. Der Rest geht für Papiere, Wohnung, Polizisten, Essen, Telefon und andere Ausgaben drauf. Wenn Migranten Polizisten sehen, dann laufen sie ganz oft weg, obwohl ihre Papiere in Ordnung sind. Denn sie wissen, dass die Polizisten einen Grund finden werden, ihnen Geld wegzunehmen. Nachts machen sie regelrecht Jagd auf uns Migranten", so Said, Arbeiter aus Tadschikistan.
Polizei greife immer härter durch gegen Migranten
So wie Said geht es vielen Migranten. Gerade jetzt vor der WM nehmen die Passkontrollen extrem zu, in der U-Bahn, an Bahnhöfen, selbst auf den Baustellen. Dabei fordern die Polizisten oft Schmiergelder. Die wenigsten Migranten versuchen sich zu wehren. Doch einige Arbeiter wenden sich an den Anwalt Bakhrom Khamroew. Seit Jahren setzt er sich für die Rechte von Migranten in Russland ein. Beim ihm häufen sich die Fälle. Die Polizei greife immer härter durch gegen Migranten.
"Die Arbeitgeber sagen den Arbeitern: wir erledigen die Papier selber. Sie sammeln die Pässe ein. Die Wanderarbeiter arbeiten dann ein halbes Jahr lang ohne Lohn, wohnen in einigermaßen hinnehmbaren Unterkünften, werden verpflegt für wenig Geld. Sie bekommen Taschengeld für Zigaretten. Und eines schönen Tages bestellen dann die Arbeitgeber ein Polizeiaufgebot und eine Abordnung der Migrationsbehörde, die dann die Leute in Busse verfrachten und abschieben", erzählt Bakhrom Kamroew, Anwalt.
Er und seine Anwaltskollegin Valentina Chupik vertreten einige Migranten vor Gericht. Gejagt – beraubt. Viele Migranten fühlen sich wie Freiwild.
"Wenn sich ein Migrant in einer sehr schweren Situation befindet – materiell, psychologisch – ständig unter Druck steht, andauernd beraubt und von allen gehasst wird. Ein solcher Migrant wünscht sich, dass man ihn liebt, achtet und schützt. Und manchmal werden dann die Anwerber radikaler Organisationen zu solchen Beschützern", sagt Valentina Chupik, Anwältin.
Ganze Dörfer, in denen fast nur Frauen und Kinder leben
Moskaus Arbeitsmigranten – als leichte Beute. Viele stammen aus Tadschikistan, dem Armenhaus Zentralasiens. Nur wenige haben in dem Hochgebirgsland Arbeit. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist es dem Land nicht gelungen seine Wirtschaft aufzubauen. 70% der Männer arbeiten in Russland oder schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Ganze Dörfer, in denen fast nur Frauen und Kinder leben. Mittlerweile gibt es Landstriche, aus denen Dutzende in den sogenannten heiligen Krieg nach Syrien gezogen sind, so wie der Schwiegersohn von Gultschera.
"Wie kann das sein? Aus unserem Dorf sind die Söhne der Besten dahin gegangen. Aus den besten Familien sind sie nach Syrien gegangen", erzählt Gultschera.
Auf den Märkten der Hauptstadt hängen Fahndungsplakate von mutmaßlichen Jihadisten, die für den sogeannten Islamischer Staat kämpfen. Die Gründe für die Radikalisierung: kaum Aufstiegsmöglichkeiten und in Russland fühlen sich viele erniedrigt.
80% der Tadschiken, die in den Krieg gezogen sind, stammen aus der Arbeitsmigration in Russland.
Städte und Stadien zu Hochsicherheitsgebieten während der WM
So auch der Sohn von Urunbai. Er soll beim IS in Syrien sein. Seitdem haben die russischen Behörden den Vater mehrmals verhört. Nun befürchtet er abgeschoben zu werden. Anwalt Khamroev versucht das zu verhindern. "Immer sind es die gläubigen Muslime, bei denen sie reinplatzen. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Für den Staat sind wir wie Schafe. Sie denken, wir sind dumm, kennen das Gesetz nicht und, dass man mit uns alles machen kann", so Urunbai.
"Der Staat dürfte solche Leute wie Unrunbai nicht unerbittlich verfolgen. Er müsste Struktur aufbauen, um Menschen wie ihm zur Seite zu stehen", sagt Bakhrom Hamroev.
"Doch dafür gibt es keine Anzeichen, ganz im Gegenteil. So kurz vor der WM greifen die Behörden durch", so Bakhrom und Vater.
"Ob grausam oder nicht grausam ist Ansichtssache. Wir wollen einfach nur Ordnung in unserer Stadt", findet Vladimir Tschernikow, Minister Moskauer Stadtregierung.
Das spürt Said jeden Tag. Diejenigen, die das Land für die WM rausgeputzt haben, sollen nun aus dem Strassenbild verschwinden, klagt er.
"Alle sind im Bilde, daß wegen der Fußball WM viele ausgewiesen werden. Und das machen sich die Polizisten zunutze und nehmen noch mehr Schmiergelder. Wir haben so eine Anordnung, wir können dich ausweisen, sagen sie, gib uns Geld und geh", erzählt Said.
Die Städte und Stadien werden während der WM zu Hochsicherheitsgebieten, denn nichts darf schief gehen bei Putins Prestigeprojekt.
Bericht: Birgit Virnich/Olga Sviridenko / ARD Studio Moskau
Stand: 05.08.2019 03:50 Uhr
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