So., 05.05.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Peru: Die höchste Stadt der Welt
5.100 Meter über dem Meeresspiegel liegt La Rinconada. Gegründet, weil es dort Gold gibt. Die meisten sind gekommen, um schnell Geld zu machen, bleiben will niemand lang, denn die Lebensbedingungen sind fürchterlich: Die extreme Höhe und das Recht des Stärkeren – eine Goldgräberstadt. "Die schrecklichste Stadt, die ich je besucht habe", sagt Südamerika-Korrespondent Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro.
Müll – Tonnen davon. Verteilt über mehrere Kilometer. Genau vor dem Eingang von La Rinconada. Eine Stadt, so sagt man, in der es keine Staatsgewalt gibt. Wir fahren vier Stunden, steil bergauf über Schotterpisten, bis hierher auf 5.100 Meter Höhe. In La Rinconada leben 50.000 Menschen. Es ist die höchste Stadt der Welt. Unwirklich – Menschen gehören nicht hier her. Sie kamen trotzdem wegen des Goldes, von dem es mehr als anderswo gibt. So viel, dass manche selbst den Minenabraum durchsuchen. Ganze Familien hat das Goldfieber gepackt.
"Keine der Minen ist offiziell", erzählt der Goldsucher Vidal Mamani. "Jeder schaut, dass er was abbekommt. Eine Genehmigung hat niemand." Auch nicht die Goldschürfer, die ihre Schächte kilometerweit in den Berg getrieben haben. Sie schuften hier in einer Luft mit gerade mal der Hälfte des Sauerstoffs als auf Meereshöhe. Das spüre auch ich bei den Dreharbeiten am eigenen Leib. "Es kribbelt in den Beinen. Der Kopf ist total schwammig und es ist natürlich mit Kopfschmerzen verbunden. Also alles in allem extrem anstrengend hier oben."
Gold-Boom mit Folgen
Der Gold-Boom zog tausende verarmte Peruaner an – zehn Jahre ist das her. Als Fortunato Chuque ankam, lebten gerade mal ein paar hundert Menschen hier oben, wo die Temperaturen nachts auf minus 20 Grad absinken. "Jemand hatte mir damals gesagt, dass La Rinconada Zukunft hat. Obwohl es anstrengend ist, bin ich geblieben. Mittlerweile sind es fast 24 Jahre."
Die Minenfirma bestimmt alles. Wer nicht nach ihren Regeln spielt, fliegt raus. Trotzdem hielt Fortunato durch. Bald hat er genug verdient, um La Rinconada und alles hier hinter sich lassen zu können. Denn die Arbeit in den Schächten ging nicht spurlos an dem 59-Jährigen vorbei. "In den Minen gibt es überall Feinstaub. Deshalb sterben viele Kollegen an einer Staublunge. Oder aufgrund einer Gasvergiftung, ausgelöst durch eine der unterirdischen Explosionen."
Einmal pro Monat tauscht Fortunato sein Gold ein. Dadurch hat er am Ende circa tausend Euro in der Tasche. Ein ziemliches gutes Einkommen in Peru. Stolz zeigen uns diese Minenarbeiter ihre Gold-Ausbeute, die sie – sicher ist sicher – stets bei sich tragen.
Erkenntnisse für die Wissenschaft auf 5.100 Meter Höhe
Wie man in diesem wilden Westen überleben kann – auf 5.100 Metern, täglich am Limit schuftend – das wollen französische Wissenschaftler herausfinden. Sie entnehmen Blutproben der Minenarbeiter, um die Anzahl der roten Blutkörperchen zu messen. Denn diese binden den Sauerstoff und geben den Wissenschaftlern Hinweise, wie der menschliche Organismus hier oben funktioniert. "Ein Mensch auf Meereshöhe besitzt 40% rote Blutkörperchen" erklärt Samuel Vergès von der Universität Grenoble. "Hier oben aber liegt der Wert bei über 80%. Das ist eine Menge und dadurch werden die Organe, die Muskeln und das Gehirn, besser mit Sauerstoff versorgt."
Ihre Körper haben sich angepasst, mussten sich anpassen. Wie genau zeigen Belastungstests: Die Herzen der Goldschürfer arbeiten im Grenzbereich. Und: ihr Blut ist dünnflüssiger als üblich. Die Studie soll auch Menschen auf Meereshöhe helfen. "Wir wollen von den Menschen hier lernen, wie sie mit so wenig Sauerstoff auskommen. Damit wir auch Menschen aus dem Tiefland heilen können, die Atemwegsprobleme haben oder unter Sauerstoffmangel leiden."
Kälte, Gift und Müll
Lernen von Menschen wie Eric, der einiges auf sich nimmt, um dem Boden der Anden das begehrte Edelmetall zu entreißen. Dafür müssen er und seine Verwandten Erde und Gestein waschen. Weiter unten fällt das Gold durch den Rost und bleibt in Matten hängen. Bei Temperaturen um die fünf Grad – keine einfache Arbeit für den 21jährigen Eric Ramos. "Das ist zwar ziemlich hart, hier zu arbeiten bei der Kälte, aber trotzdem empfinde ich es als Glück, denn wir holen `ne Menge Gold raus und können uns davon Möbel und mehr kaufen."
Unvermeidlich dabei: Quecksilber. Es löst das Edelmetall aus dem Gestein und klumpt in den Waschpfannen zu kleinen Goldstücken aus. Anders als sein Vater will Eric diesen Knochenjob nicht ewig machen. "Ich studiere nebenbei und wenn ich damit fertig bin, will ich nicht mehr hierher zurückkommen." – "Was ist Dein Traum?" – "Ich will Lehrer werden."
Hoffnungen hatten alle – die meisten sind zerplatzt. Viele Goldschürfer bleiben in la Rinconada hängen – zwischen Bars und Bordellen. Im Bann des Goldrausches. Überall wo wir hinkommen, stinkt es süßlich stechend. Vor unserer Abreise sehen wir Frauen, die im Zentrum der Stadt nach Goldkrümeln suchen. Im Rinnsal aus Gletscherwasser und Urin. Bis heute besitzt La Rinconada weder fließendes Wasser noch eine Kanalisation. Dafür aber einen Friedhof, die letzte Ruhestätte für viele Goldschürfer. Die Kälte, die Gifte und der Müll – sie fordern einen hohen Preis in der höchsten Stadt der Welt.
Stand: 06.05.2019 17:13 Uhr
Kommentare