So., 12.05.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Polen: Angst vor dem Krieg
Die Costa Blanca in Spanien nennen viele Spanier seit einiger Zeit auch Costa Polska. Der Grund: die Zahl der Immobilienkäufe von Polen hat sich in dieser Region in den letzten zwei Jahren verdreifacht. Die Polen kaufen hier Sonne und Sicherheit. Denn seit dem Angriffskrieg Russlands auf das Nachbarland Ukraine suchen viele einen Zufluchtsort, an den sie im Falle eines Angriffs auf Polen fliehen können, möglichst weit weg – dahin, wo der Krieg voraussichtlich keine Rolle spielen würde. Fast die Hälfte der Menschen in Polen hält einen russischen Angriff auf Polen für realistisch. Agata Magdziarz vermittelt von Danzig aus Wohnungen an Käufer mit dem nötigen Kleingeld, von denen es mittlerweile viele gibt.
Wohin, wenn der Krieg kommt?
Rafał Głąb und seine Familie stehen vor großen Veränderungen. Er und seine Frau haben eine Entscheidung getroffen: "Wir wollen das Haus verkaufen. Und damit Interessenten nicht gleich einen Schock bekommen, muss hier Ordnung gemacht werden. Das ist jetzt der perfekte Anlass, um mal auszumisten." Noch leben sie in einem kleinen Dorf im Süden Polens. 20 Jahre Familiengeschichte stecken im Haus, drei Kinder haben sie hier großgezogen. Mit dem Geld aus dem Verkauf wollen sie ein neues Haus kaufen, in Spanien an der Costa Blanca. "Ohne Pool geht es nicht in Spanien", sagt Beata Majewska. "Ah, hier ist unsere Auswahl. Nur vier Immobilien in Punta Prima. Das ist nicht so viel." "… aber auf jeden Fall bekommen wir was", ergänzt Rafał.
Beata und Rafał suchen Sonne, aber vor allem Sicherheit. Denn der Krieg im Nachbarland Ukraine ist hier in Polen ganz nah. So wie die Hälfte der Menschen hier, halten auch sie einen Angriff Russlands auf ihr Land für wahrscheinlich. Und für diesen Fall wollen sie eine Fluchtmöglichkeit haben – so weit weg wie möglich. "Als wir zum ersten Mal in Spanien waren, vor anderthalb Jahren im Urlaub, da gab es dort keinen Krieg. Es gibt dort keinen Krieg", sagt Beata. Seitdem haben sie schon zwei Wohnungen dort gekauft. Die dritte Immobilie soll genug Platz für die große Familie bieten, damit im Ernstfall alle zusammen fliehen können. "Ich weiß, dass es unpatriotisch ist, von meiner Seite sogar sehr, aber…" "…aber jeder kümmert sich nun mal zuerst um seine Familie", sagt Rafał.
Polen zieht es nach Alicante und Benidorm
In Danzig, ganz im Norden Polens lebt Agata Magdiarz. Strand und Meer hat sie hier zwar vor der Haustür, aber die Sonne fehlt meistens. Sie ist Immobilienmaklerin und kennt das Business. Deshalb hat auch sie vor anderthalb Jahren eine Wohnung an der Costa Blanca gekauft. Als sichere Geldanlage. Denn in Spanien sind auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine weniger zu spüren als hier: "Der Ausbruch des Krieges hat uns alle in einen Schock versetzt. Ich kenne persönlich Leute, die kurz darauf beschlossen haben, eine Immobilie in Spanien zu kaufen. Es waren Leute, die schon vorher mit dem Gedanken gespielt hatten. Und im Moment gehören wir tatsächlich zu den zehn Ländern, die dort am meisten investieren." Agata hat ihr Geschäftsfeld seitdem auf Spanien erweitert. Mit ihrer Partnerin Kamila vor Ort vermittelt sie Immobilien an polnische Käufer. Zahlungskräftige Kunden gibt es hier genug. "Ich habe zwei neue Angebote vorbereitet unter anderem eine neue Villa für 1,4 Millionen Euro." Agata schaut sich die Objekte immer selbst an und fliegt deshalb regelmäßig nach Alicante. Nach gut dreieinhalb Stunden Flug wird sie am anderen Ende Europas sein.
Dass Polen gerade nach und auch auf Spanien fliegen, beobachtet das spanische Grundbuchamt seit Kriegsausbruch in der Ukraine. "Wir haben eine Verdreifachung der Immobilen-Käufe von polnischen Bürgern in Spanien. Das ist auffällig. Und der Trend hält an", so Sebastián del Rey Barba, Direktor des spanischen Grundbuchamtes. Besonders viele Polen zieht es an die Strände rund um Alicante. In Benidorm hat Kamila ihr Immobilien-Büro, die mit Agata in Polen geskypt hat. In dieser Woche hat die gebürtige Polin vier Häuser und Wohnungen an Landsleute verkauft. "Wir haben seit zwei Jahren ziemlich viel Arbeit. Vor allem mit Kunden aus Polen. Alle Akten hier gehören zu polnischen Kunden." Und die auf dem Tisch? "Das gleiche! Auf diesem Tisch – und auch auf dem anderen: Aktuelle Verkaufs-Unterlagen für Leute aus Polen. Da bewegt sich gerade viel."
Die Kunden wollen Sonne und Meerblick
Kräne rund um Benidorm symbolisieren das wie Ausrufezeichen. Zwar kaufen deutsche und auch englische Kunden hier, nach wie vor, deutlich mehr Häuser als Polen. Doch die Osteuropäer holen auf. Kamila wartet hier auf Agata. Derweil kommt sie mit einer tschechischen Familie ins Gespräch. Die suchen hier auch ein Haus. Und dann kommt Agata. Über dieses Haus hatten sie gesprochen. 1,4 Millionen Euro teuer. Viel Licht, vier Schlafzimmer, Pool, große Terrasse. Könnte passen… "Was meine Kunden wollen: Viel Sonne und Meerblick. Auf unterschiedliche Art. Aber das ist es!"
Für sich selbst hat Agata auch einen solchen Ort ausgesucht. Dieses Hochhaus. Erst hat sie gedacht: Hilfe, sieht aus wie eine schlechte Mischung aus Dubai und Moskau. Aber dann hat sie dieses Appartement in einem oberen Stockwerk gekauft. Dieser Ausblick sei der Grund. Hier finde sie Ruhe. Dann geht die Immobilien-Suche weiter. Jetzt eine Nummer kleiner. Zwei Zimmer, 270.000 Euro, das Meer vor der Terrassen-Tür. "Preise in Polen steigen und steigen. In Spanien findest du Immobilen in jeder Preisklasse. Wir haben Villen für zwei Millionen Euro, und wir haben Leute in Polen, die können das zahlen. Es gibt aber auch günstigere Möglichkeiten, zu investieren." Es ist Abend geworden in Benidorm. Maklerin Camila trinkt ein Feierabendbier in einer polnischen Kneipe. Auch die gibt es hier mittlerweile. Morgen geht es weiter. Sie hat 20 Anfragen von polnischen Kunden auf dem Schreibtisch, die hier eine Immobilie suchen.
Autoren: Kristin Joachim, ARD-Studio Warschau und Sebastian Kisters, ARD-Studio Madrid
Stand: 13.05.2024 16:54 Uhr
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