So., 28.08.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Polen: Die Fischretter an der Oder
Retten, was noch zu retten ist. Der Angler Michal Chelkowski fährt mit einem Freund die Oder bei Stettin ab. Die beiden sind Fischretter: "Das sind Schleien, denen geht es jetzt wieder gut. Wir haben sie in ein Becken mit Sauerstoff gesetzt." "Der hier war auch schon fast tot. Aber durch den Sauerstoff geht es ihm schon wieder besser."
Rettung in letzter Sekunde
"Als wir noch Kinder waren, gab es hier Unmengen von Fischen. Und jetzt, wenn wir auf des Echolot schauen – nichts gibt es hier. Dort, wo ich immer wusste, dass dort große Fische sind, ist heute eine Wüste. Wir retten jetzt so viele, wie wir können", erzählt Michał Chełkowski.
Sauerstofftherapie für Fische in Not ein Stück weiter stromaufwärts: Angler:innen haben in der Nähe von Gryfino zusammen mit der Feuerwehr solche Wassertanks aufgebaut. Karpfen und Welse tummeln sich in frischem Süßwasser. Der Angler Szymon Krzewski hat sich diese Aktion ausgedacht: "Solange uns das nicht erreichte, dachte ich, dass vielleicht einfach alles an uns vorbeizieht. Aber als ich vor etwa einer Woche einen etwa 20 Kilogramm großen Karpfen hier bei uns direkt am Ufer gefunden habe, rief ich einen Freund an. Er half mir, den Fisch abzufischen und so begann das alles."
Vor allem große Fische wollen sie retten, weil die länger brauchen um ihre Population wieder herzustellen. Welse, Karpfen und Zander – ein paar Dutzend von ihnen erholen sich in den Becken vom Sauerstoffmangel in der Oder. "Erst wenn die Wasserwerte wieder gut und längere Zeit stabil sind, werden sie wieder in die Freiheit entlassen", sagt Szymon.
Für diese Fische kommt jede Hilfe zu spät! Angler aus Stettin ziehen hunderte Fischkadaver aus der Oder. Schadensbegrenzug, damit die verwesenden Tiere nicht weiter den Fluss belasten. "Es ist schwer, wenn man hier am Ufer unter Menschen ist, die schon ihr ganzes Leben mit der Oder verbunden sind. Oft über Generationen. Da haben Großväter ihren Enkelkindern diese Leidenschaft vermittelt und verbrachten hier jede freie Minute. Für uns alles ist das ein Teil unseres Zuhauses, der verlorengegangen ist. Es zerreisst uns das Herz, weil wir das jetzt erleben müssen", erzählt Adam Tański vom Polnischen Anglerverband Stettin.
Warnungen wurden zu spät ernst genommen
Für die Ursachenforschung nehmen Wissenschaftler:innen Proben von den toten Fischen. Die ersten Hinweise auf verendete Fische kamen von Anglern schon im Juli. Doch es geschah erstmal nichts, beklagt die polnische Opposition. "Alle waren doch im Urlaub. Wenn es zu einer ökologischen Katastrophe kommt, ist doch jeder Tag Gold wert, weil jeder Tag wichtige Informationen zu den Ursachen, Quellen und Verantwortlichen für diese Katastrophe bringen kann", sagt Agnieszka Dziemianowicz-Bąk, Abgeordnete der Linke.
Zu spät und zu langsam reagiert, so lauten Vorwürfe an die Regierung. 100 Tonnen Fischkadaver holten die Behörden inzwischen auf der polnischen Oderseite aus dem Wasser. Mehrere Gründe könnten für das massenhafte Fischsterben verantwortlich sein: Giftige Algen, Pestizide, die Dürre mit niedrigen Pegelständen und industrielle Einleitungen.
Ins Gerede gekommen ist auch ein Bergbauunternehmen, das Salzwasser in die Oder ableiten darf. "Es wurde leider von den zuständigen staatlichen Behörden auf Warschauer Ebene über die Entwicklung nicht informiert. Das heißt, dieses Informationssystem und auch die Aufsicht über den Fluss im gesamten Einzugsgebiet muss auf jeden Fall verbessert werden", erklärt Piotr Borys, Abgeordnete der Bürgerkoalition.
Hätten die Behörden früher auf die Hinweise von Angler:innen und Anwohner:innen gehört, hätte die Ursachensuche wohl deutlich schneller begonnen. Erst jetzt entdeckten Beamte mehr als 280 Stellen entlang der Oder, an denen illegal Abwässer eingeleitet werden. Bis die Oder sich wieder vom großen Fischsterben erholt hat, könnten Jahrzehnte vergehen. Die geretetten Fische in Gryfino sollen die Heilung unterstützen.
"Was wir hier leisten, trifft nicht mal die Spitze des Eisberges. Es ist nur ein Prozent dessen, was man tun könnte. Obwohl, wenn wir hier auf die Fische bei uns im Becken schauen. Die hätten ja auch mit dem Bauch nach oben hier schwimmen können, aber sie leben und es geht ihnen gut", sagt Szymon. Diese polnischen Angler:innen retten weiter Fische, denen der Sauerstoff zum Überleben fehlt.
Autor: Olaf Bock/ARD Studio Warschau
Stand: 28.08.2022 18:28 Uhr
Kommentare