Mo., 28.08.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Apocalypse Now im Untergrund
Moskau – nach einer Atomkatastrophe. Weite Teile der Stadt sind zerstört, so die düstere Vision des russischen Kultautors Dmitri Glukhowski in seinem Roman Metro 2033 – Vorlage für dieses Videospiel.
"Der Club der Überlebenden"
Die Überlebenden hausen in der Moskauer Metro. Zwischen den einzelnen Stationen, den Stadtstaaten sind Verteilungskämpfe ausgebrochen. Nur die Fittesten überleben. Und genau das trainiert hier auch eine Gruppe junger Russen, angeregt durch dieses Spiel – millionenfach verkauft. Sie nennen sich "Der Club der Überlebenden" und treffen sich mehrmals im Monat, um zusammen Überlebensstrategien zu trainieren. Dieses Mal in den Katakomben von Domodedewo im Süden Moskaus. Sie haben mich mitgenommen. Gar nicht so einfach, sich hier in den unterirdischen Gängen zurecht zu finden.
"Hier kann man sich ganz schön verirren. Diese Karten haben Leute gezeichnet, die hierdurch gelaufen sind. Sie sind zum Teil sehr ungenau. Sie stammen nicht von Profis", sagt Jewgenija.
Vorbereitet auf eine mögliche Krise
Langsam tasten wir uns in den verwinkelten Gängen der Moskauer Unterwelt voran. Und stossen plötzlich auf Heiligenbilder. Ein kleiner Altar. "Das ist laut unserer Traditionen, ein Ort, an dem man sich verneigt. Ein Altar, an dem man seine Wünsche äußert. Das machen die Leute normalerweise", erzählt Jura. Hier sollte man besser ein kleines Opfer darbringen, erklärt mir Jura der Anführer der Gruppe, um die Schutzheiligen der Unterwelt milde zu stimmen...und um uns vorbei zu lotsen an diesen wackeligen Stützen. Vorbei an geheimen Behausungen illegaler Einwanderer. Hier tauchen sie zuweilen unter. Es ist das erste Mal, dass sie in den Katakomben sind. Hier könnte man gut überleben, meinen sie.
"Würden wir hier steckenbleiben – wir hätten alles Notwendige dabei. Wir würden weder erfrieren noch verhungern. Und auf Umwegen würden wir irgendwie rauskommen", meint Leonid.
"Wie lange ein Mensch aushält, hängt von ihm selbst ab, von seiner Willensstärke und von seiner Fähigkeit genau zu beobachten", sagt Jewgenia.
"Man kommt nicht vor Kälte, Hunger oder Wassermangel um, sondern aus Verzweiflung. So lange man Hände und Füße hat, kann man immer improvisieren", findet Jura.
Kein Vertrauen in Politik
Und deshalb setzen sie sich immer wieder solchen Extremsituationen aus, um dann im Ernstfall mit ihren Ängsten umgehen zu können. Im wahren Leben ist Jewgenia Lehrerin. "So wie die Welt gerade ist – wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Krieg kommt, durchaus. Man spürt es. Überall werden Ängste geschürt und es ist als suche man nach einem Vorwand für einen Krieg. Wir hoffen, dass es nicht zum Krieg kommen wird, denn es gibt ja Kernwaffen", sagt Jewgenia.
Doch Vertrauen in die Politik haben sie nicht. In der Moskauer Unterwelt des Schriftstellers Glukhowski rettet sein Held Artjom die Überlebenden nach einem Atomschlag und baut mit ihnen eine neue Zivilisation unter der Erde auf. Millionen Russen fiebern mit.
Von Problemen wird abgelenkt
Für seinen Roman recherchierte Glukhowski monatelang in dem riesigen U-Bahn Netz und verlegt alle schwelenden politischen Konflikte in die Unterwelt.
"In Russland gab es diese Subkultur eigentlich gar nicht, so wie in Amerika. Aber jetzt schon. Immer mehr Russen trainieren und bereiten sich auf die Zeit nach dem Krieg vor", erzählt Dmitri Glukhowski.
Er ist überzeugt, die Regierung treibt die Militarisierung der Gesellschaft voran, um von den Problemen abzulenken.
"Es ist ein altes Mittel, die Bevölkerung zu kontrollieren und davon abzuhalten die Obrigkeit zu kritisieren, indem man ihnen das Gefühl gibt, sie seien bedroht, belagert durch den Westen, der unser Zerstörung will, vor allem Amerika. Deshalb finden wir im Alltag mittlerweile überall Elemente dieser Kriegskultur. Man will uns einreden, wir werden massiv bedroht, und befinden uns fast schon im Krieg."
Überleben muss gelernt werden
Und darum trainieren Jura und die anderen mindestens einmal wöchentlich Nahkampf in alten Industriehallen. Schliesslich werde auch das tägliche Leben in Moskau immer aggressiver. Da komme es auch ständig zu Krisensituationen. Computerheld Artjom muss seine Leute immer wieder gegen die Angriffe anderer Metrostationen verteidigen. Zunehmend ziehen sich Jewgenia und Leonid auch zu Hause in die Welt des Computerspiels in der Moskauer Metro zurück.
"Ich denke, man hat tatsächlich die Vergangenheit vergessen. Die heutige Generation weiss nicht, wie es damals nach dem Krieg war. Alle denken: Ach, was ist denn so schwer daran? Wir werden schon überleben", so Jewgenia.
Doch sie wollen das nicht dem Zufall überlassen. Zusammen mit ihrem Mann Leonid ist die Lehrerin seit zwei Jahren im "Club der Überlebenden". Anfangs waren sie nur neugierig. Jetzt sind der Club und die Leute längst Teil ihres Lebens.
Autorin: Birgit Virnich/ARD Studio Moskau
Stand: 20.07.2019 15:26 Uhr
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