So., 03.11.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland/China/Deutschland: Erwartungen an Washington
Russland
"Nur noch wenige Tage bis zur Wahl", sagt der Moderator. "Ein Affentheater. Sie verklagen sich, beleidigen sich, Wahlfälschung wird vorbereitet – völliges Chaos." Keine Newssendung, keine Talkshow in Russland ohne dieses Thema. Mit immer demselben Tenor: Die USA seien keine Demokratie. Und die Wahl schon jetzt gescheitert. Kamala Harris könne nur durch Fälschung gewinnen, heißt es hier. "Sie kann doch gar nicht reden. Selbst, wenn sie über Frauen spricht. Was weiß eine Kinderlose schon über das Schicksal von Frauen?", fragt dieser Mann.
Die Staatsmedien voll auf Trump-Kurs. Bei Umfragen liegt Harris hier in Russland deshalb weit abgeschlagen hinter Trump. Im Kreml selbst jedoch lässt man – zumindest nach außen – keine Vorliebe erkennen. Putin sagte neulich, er glaube allerdings, dass Trump ehrlich für Frieden sei. Trump würde die Nato schwächen, hofft man hier. Und man hofft vielleicht auch, dass ein impulsiv agierender Trump für einen Geheimdienstler wie Putin leichter zu händeln wäre. Dabei hat man hier mit Trump schon ganz andere Erfahrungen gemacht. Er war es ja, der als erster amerikanischer Präsident tödliche Waffen an die Ukraine geliefert hat – 2017. Obama hatte das zuvor noch abgelehnt. Also auch Trumps Handeln ist nicht vorhersehbar für Moskau. Eine Präsidentin der Demokratischen Partei, Kamala Harris, wäre, sagen hier manche, zumindest für Russland vielleicht berechenbarer – und deshalb, heißt es hier, vielleicht auch gar nicht schlecht für Russland.
China
In Peking spielt der Wahlkampf in den USA kaum eine Rolle. In den Staatsmedien gibt es nur einen großen Politiker auf der Welt und in Social Media taucht vor allem Donald Trump zur Unterhaltung auf. Macht es für die Staats- und Parteiführung einen Unterschied, wer gewinnt? Kamala Harris oder Donald Trump?
Xi Jinping hat seine eigenen Ziele: Er will die USA in globalen Führungsrollen ablösen – technologisch, außenpolitisch. Das Verhältnis der beiden größten Volkswirtschaften der Welt ist von Konfrontation und Wettbewerb geprägt. Trump ist aus Sicht der chinesischen Führung zwar unberechenbarer, erst freundlich, dann plötzlich startete er den Handelsstreit mit Zöllen auf Waschmaschinen und Solarzellen. Aber auch unter der Biden-Regierung gibt es Zölle, vergangenen September etwa 100 Prozent auf E-Autos. Für China sind die USA weiterhin mit Abstand das wichtigste Exportland. Das gesamte Handelsvolumen der beiden Länder: eine halben Billion Euro in 2023.
Staats- und Parteichef Xi rüstet militärisch auf. Im Konflikt um die demokratisch regierte Insel Taiwan, die China für sich beansprucht, verbittet sich China jedwede Einmischung der USA. Die chinesische Führung hat keinen bevorzugten Kandidaten, denn egal wer im Weißen Haus sitzt, beide dürften es ihnen schwer machen. Und das in einer für China wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der die chinesische Führung keinen Zweifel daran lässt, dass sie in repressiver und nationalistischer Manier eine globale Führungsrolle anstrebt.
Deutschland
Deutsch-amerikanische Freundschaft at its best. Den Abschiedsbesuch von Joe Biden im Oktober konnte die deutsche Politprominenz noch einmal richtig genießen. Alle wissen: Ein derart überzeugter Transatlantiker, der kommt so bald nicht wieder. Denn die Freunde aus Übersee werden von der deutschen Politik bald viel mehr verlangen. Mehr Führung, mehr Verantwortung für Europa, mehr Rüstungsinvestitionen – vor allem, wenn Trump gewinnt.
"Der Fokus wird mehr Richtung China/Indopazifik gehen, entscheidend wird der Unterschied sein: Was macht das mit dem Engagement in Europa? Wird es deutlich weniger werden, wird es etwas weniger werden?", sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Im Auswärtigen Amt bereitet man sich seit Jahren auf verschiedene Szenarien vor. Transatlantik-Koordinator Michael Link baut Kontakte auch auf Bundesstaaten-Ebene aus. Unter Trump würde wieder die Unsicherheit regieren, sagt er. Die Außenministerin scheint eine leichte Präferenz für Harris zu haben. "Mit Blick auf eine Welt, in der vielleicht ein bisschen zu viel Testosteron manchmal herumfliegt, starke Frauen vielleicht auch gewissen Situationen nicht schlecht tun, sondern eher gut tun", findet Annalena Baerbock. Und der Kanzler? Hält sich sehr zurück. Wenig zu Trump, ein bisschen was zu Harris. "Sie weiß, was sie will und was sie kann", sagt Olaf Scholz.
Vorbei die Zeiten, als die USA ohne zu Murren für Deutschlands Sicherheit gesorgt haben. Demnächst könnten sie ihr militärisches Engagement in Europa etwas zurückfahren – während die Bedrohung durch Russland zunimmt. Hier in Berlin hofft man insgeheim auf Harris, unter der die Folgen milder ausfallen könnten. Wird Trump wieder Präsident, dann dürfte das für Deutschland gravierendere Auswirkungen haben.
Autoren: Marie von Mallinckrodt ARD China / Ina Ruck ARD Moskau / Demian von Osten ARD Hauptstadtstudio
Stand: 03.11.2024 20:13 Uhr
Kommentare