So., 26.01.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Gesichtserkennung
Auf einer Messe für Sicherheitstechnik in Moskau. Der aktuelle Trend: Gesichtserkennung. Viele russische und chinesische Hersteller sind da. "Er hat mich schon erkannt", sagt Demian von Osten, ARD-Korrespondent in Moskau.
Gesichtserkennung soll Polizei unterstützen
Das System als Pförtner: Wer gespeichert ist, darf rein. Erstellt wird ein biometrisches Modell. Die Kamera vergleicht dann Punkte im Gesicht mit dem Modell. Nebenan: Der Verkäufer trägt eine Bodycam an seiner Brusttasche. Messebesucher werden ungefragt aufgezeichnet. Die Polizei könnte sie im echten Leben mit einer Fahndungsdatenbank vergleichen. "Wer verwendet diese Systeme", fragt Demian von Osten. "Das kann im Stadion sein, an einem öffentlichen Ort, im Bahnhof. Ich finde das sehr nützlich, wenn man am Eingang Leute herausfiltert, die eine Bedrohung darstellen. Das macht mich glücklich", antwortet Maxim Nasonow, Firma "ByteErg".
"Jetzt sehe ich hier unten unter dem Bild die Information über mich. Da steht zum Beispiel, dass ich eine Brille habe. Mit 99% Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Brille habe, dass ich glücklich bin, allerdings nur mit einem Prozent Wahrscheinlichkeit, da ist er sich nicht so sicher. Dass ich auf etwa 30 geschätzt werde, ja ein schönes Kompliment. Und dass ich ein Mann bin", erzählt Demian von Osten.
"Mein Gesicht ist sowieso überall. Wenn Sie rüber zur Metro laufen, 20.000 Kameras. Da werden Sie zu 100% gefilmt. Wenn ein Polizist Sie finden müsste, könnte er ja auch 20.000 Videos durchschauen. Mit diesem System geht das aber deutlich schneller", sagt Maxim Nasonow.
Ein Dieb klaut am hellichten Tag aus der Moskauer Tretjakow-Galerie ein Gemälde. Durch Gesichtserkennung findet die Polizei ihn schnell. Mehr als 170.000 Überwachungskameras gibt es in Moskau. Etwa 3.000 können schon Gesichtserkennung – bald sollen es alle sein. Mehr als 3.000 Verbrechen wurden vergangenes Jahr so aufgeklärt.
Einige kämpfen gegen die neue Technik
Sie überzeugt das nicht: Aljona Popowa, Anwältin und Aktivistin. Sie kämpft gegen die Gesichtserkennung. "Sie können ermitteln, dass hier Demian und Aljona stehen. Den genauen Standort, der Platz Twerskaja Sastawa. Und ganz konkret bis auf die Sekunde genau, die Uhrzeit. Was wir sicher wissen, ist, dass durch Gesichtserkennung Aktivisten von den Moskauer Protesten vergangenes Jahr festgenommen wurden. Das machen sie wie in China, wo nur solche Leute festgenommen werden, die gegen die Regierung sind", erzählt Aljona Popowa.
Dieses Überwachungsvideo, glaubt Aljona Popowa, haben die Behörden für Gesichtserkennung genutzt. Es zeigt sie mit einem Protest-Plakat vor dem Moskauer Parlament.
"Wir sagen denen: Wenn Ihr uns verfolgt, ohne Gerichtsentscheid und ohne unser Einverständnis, dann hört auf damit, Ihr habt dazu kein Recht", fordert Aljona Popowa.
Deshalb zieht Aljona Popowa vor Gericht. Filmen im Gerichtssaal dürfen wir nur nach der dreistündigen Verhandlung, beim Urteil. Die Richterin dürfen wir nicht zeigen, man hört hier ihre Stimme. Sie lehnt die Klage ab.
"Ich bin überhaupt nicht enttäuscht, im Gegenteil. Der Prozess bestärkt mich darin, weiter zu kämpfen. Alle haben zugegeben, dass sie Daten sammeln. Die Gegenseite war nervös, hat geschimpft. Wenn man so außer sich ist, dann hat man wohl etwas zu verbergen", so Aljona Popowa.
Zugang zum System auf dem Schwarzmarkt
Aljona Popowa legt Berufung ein. Auch andere machen sich Sorgen: Der Journalist Andrej Kaganskich wollte herausfinden, ob die Gesichtserkennungsdaten bei der russischen Polizei sicher sind. Und hat sich auf den Schwarzmarkt im Internet begeben. "Ich habe mir Zugang zum System der Gesichtserkennung der Stadt erkauft und eine Trefferliste mit meinem Gesicht beschafft", Andrej Kaganskich, Journalist.
Diese 80-seitige Trefferliste hat er bekommen. Viele Menschen sehen ihm sehr, sehr ähnlich – auch wenn es keinen direkten Treffer mit seinem Gesicht gab. Die Aufnahmen stammen zum Teil von Kameras an Hauseingängen. In Deutschland gäbe es da vermutlich einen Aufschrei – nicht so in Russland.
"Das ist gut, Sicherheit. Das ist sehr wichtig! Jetzt machen sich alle Sorgen um ihr Wohlergehen", sagt Wjatscheslaw. "Stört es Sie nicht, wenn die Stadt alles weiß", fragt Demian von Osten. "Es wissen sowieso alle alles. Auch ohne diese Kameras. Da reicht schon das Internet", antwortet Wjatscheslaw.
"Wenn man diese Daten missbrauchen kann, dann ist mir unwohl dabei. Irgendjemand, der mich verprügeln möchte, könnte herausfinden, wann ich mit wem nach Hause komme und wen ich besuche. Das würde ich nicht wollen", sagt Andrej Kaganskich.
In Moskau sind es aber nur wenige, die sich Sorgen machen. Den meisten, so scheint es, ist Sicherheit wichtiger als die eigene Privatsphäre.
Autor: Demian von Osten/ARD Studio Moskau
Stand: 26.01.2020 20:50 Uhr
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