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Russland: Jeder Andersdenkende wird weggesperrt

Russland: Jeder Andersdenkende wird weggesperrt | Bild: Ina Ruck / ARD Moskau

Der Weg ins Gefängnis von Sankt Petersburg ist ein schöner, führt vorbei an den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Sonja Subbotina ist das egal. Zweimal pro Woche fährt sie die Strecke zum Untersuchungsgefängnis, denn dort sitzt ihre Freundin Sascha; die beiden sind ein Paar. Sonja schleppt Tüten mit Gemüse und frischem Obst, gibt sie an der Pforte ab. Vom Gefängnisessen allein wird niemand satt, sagt sie: "Das ist eine so düstere Stimmung da drin. Als ich Sascha das erste Mal besuchen durfte, fand ich es besonders schlimm. Alles grau, überall Stacheldraht, überall Wachhunde. Das ist schwer auszuhalten."

Sonjas Freundin ist Sascha Skotschilenko. Wie eine Schwerverbrecherin führen sie sie zum Gerichtsprozess. Freundinnen und Freunde sind da. Sascha ist Künstlerin. Angeklagt ist sie, weil sie kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine in einem Supermarkt fünf falsche Preisschildchen angebracht hatte. Neben den Ziffern stehen da kleine Antikriegsbotschaften. Jemand verpfiff sie.
Ihr Prozess zieht sich über mehr als anderthalb Jahre, im Dezember fällt das Urteil: Sieben Jahre Straflager.

Andere Stadt, anderes Gericht. Auch hier: Applaus für den Angeklagten. Ilja Jaschin ist Moskauer Lokalpolitiker, gilt hier als sogenannter ausländischer Agent, war enger Mitstreiter des ermordeten Oppositionellen Boris Nemtsow. Seit Sommer letzten Jahres stand er vor Gericht, wegen angeblicher Diskreditierung der Armee.
Unzählige Prozesstermine, bei jedem einzelnen sind Jaschins Eltern dabei, Valerij und Tatjana. Jede Verhandlung ist eine Gelegenheit, den Sohn zu sehen. Vor einem Jahr fiel das Urteil – achteinhalb Jahre Haft. Iljas Vergehen: er hat in seinem Youtube-Kanal über die Ereignisse von Butscha berichtet. Er hat die westliche Berichterstattung zitiert, und die russische damit verglichen. Schon das war zuviel.

In Russland bleiben – in Haft

Viele seiner Mitstreiter hätten das Land verlassen, er habe bleiben wollen, auch um den Preis, dass man ihn einsperrt. Tatjana und Valerij haben das akzeptiert. Sich nicht als Opfer fühlen, sagen beide - das habe ihr Sohn ihnen immer wieder gesagt.

Alles wird gut – das sagt auch Sonia in Sankt Petersburg. Mitten im Stadtzentrum hatte sie mit ihrer Freundin vor deren Verhaftung gewohnt, erzählt sie. Jetzt mietet sie ein Zimmer am Stadtrand. Ihr ganzes Geld gibt sie aus für Obst und glutenfreie Lebensmittel für Sascha. Nur eine bestimmte Menge im Monat darf sie bringen, alles muss genau aufgelistet sein. Ihre Freundin hat eine Allergie, und sie ist herzkrank, hat ein Loch im Herzen. Sonja selbst hat eine Krebs-OP hinter sich, die Prognose ist gut. Sie sagt jetzt: Ich muss stark bleiben für Sascha: "Einmal durfte ich Saschas Hand halten, das ist mehr als ein Jahr her. Ich hab ihre Bewacher gefragt, bei einem Gerichtsprozess, da hatte gerade eine nette Schicht den Dienst. Ich habe Saschas Hand genommen und wir haben beide geweint. Aber es war so gut, sie berühren zu können."

Ilja Jaschins Eltern sind noch einmal im Gericht – Berufungsverfahren. Ihr Sohn ist zugeschaltet aus dem Straflager. In der Verhandlungspause gibt es die Gelegenheit für ein paar kleine Gesten. Später wird die Berufung abgelehnt – niemand hatte etwas anderes erwartet.

In Sankt Petersburg trägt Sonia frische Lebensmittel zum Gefängnis. Auch ihre Freundin wird in Berufung gehen. Auch hier wird es wohl keine Überraschung geben: Nicht einmal ein Prozent aller Strafverfahren in Russland endet mit Freispruch.

Autorin: Ina Ruck, ARD Moskau

Stand: 14.01.2024 19:30 Uhr

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