So., 24.04.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: Orthodoxe Ostern
Ordentlich Weihwasser auf die Ostereier – und auf die Gemeinde gleich mit. Am Karsamstag werden an russischen Kirchen die traditionellen Osterspeisen geweiht, Kuchen, süßer Quark, Eier. Auch in der Gemeinde des heiligen Nikolaus in Moskau. Hier ist Vater Dmitrij einer der Diakone. Er hat in Regensburg studiert. Osterspeisen seien so süß, sagt er, weil sie das Leben symbolisieren. "Die Süßigkeit des Lebens. Osterbotschaft ist ein Sieg: Leben über Tod."
Der Sieg des Lebens über den Tod – selbst so einen Satz sagt sich nicht mehr leicht hier. Über Krieg darf nicht geredet werden, und doch ist die Sorge immer da. Vater Dmitrij ist in keiner einfachen Situation. Als Christ, sagt er, gebe es nur eine Haltung. In seinen Predigten rede er jetzt viel über Nächstenliebe. Aber vorsichtig. So, wie er auch uns gegenüber sehr vorsichtig formuliert. "An Ostern hat Gott alles zum Guten gewendet. Wir beten dafür, dass er das auch jetzt tut. Unsere Gesellschaft ist gespalten, die ganze Welt ist gespalten. Wir beten, dass Gott es wieder wendet, wie eine Art von Auferstehung. Wir predigen über Werte und Würde, wir hoffen, dass es die Herzen weicher macht. Und wir predigen die Nächstenliebe", erzählt Dimitrij.
Ein überschattetes Osterfest
Gespalten ist auch die Gemeinde des heiligen Nikolaus. Manche hier verspüren kaum Osterfreude. Andere umso mehr – in diesem Jahr ganz besonders, sagt uns einer. Man befreie die Russen in der Ukraine, man befreie den Donbas. "Ich verspüre Freude, dass wir uns endlich dazu entschlossen haben. Wir machen alles richtig. Das ist meine Sicht. Wahrscheinlich denken andere anders", sagt ein Russe. "Ich finde, man hätte das längst früher machen sollen, aber die Führung weiß das wohl besser. Acht Jahre lang haben wir immer gedacht, wann hört das endlich auf – Sie haben ja wahrscheinlich gar keine objektive Information darüber, was los war im Donbas."
Doch es gibt auch andere, leisere Stimmen. "Wir haben Verwandte dort, wissen Sie. In Zaporischja. Wir machen uns solche Sorgen. Wir haben Hoffnung in Gott, dass alles gut wird", erzählt eine Russin und eine andere Frau sagt: "Sie leben da seit vielen Jahren, sind selbst Russen." "Es ging ihnen immer gut in der Ukraine. Es gab nie Probleme wegen ihrer Nationalität. Jetzt verstehen sie die Welt nicht mehr."
Osternacht in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Die Messe zelebriert Partiarch Kirill selbst. In diesem Jahr ist auch Präsident Putin hier – hohe Feiertage verbringt er sonst gern auch auf dem Land. Doch es braucht jetzt offenbar das Signal: Kirche und Staat sind eins. Kirill steht fest an Putins Seite. Obwohl seine Kirche laut Sozialdoktrin Kriege ablehnt, unterstützt Kirill Putins sogenannte Spezialoperation in der Ukraine. Spricht vom Kampf gegen die Kräfte des Bösen. Doch er scheint zu ahnen, dass nicht alle das so sehen: "Ich möchte allen Frieden, Liebe und Wohlergehen wünschen. Dass die Menschen einander erfreuen im Umgang miteinander. Und aus ihren Gesprächen möglichst alles ausschließen, dass das Gegenüber verletzen könnte."
Soll heißen: besser nicht reden über das, das hier vielen Sorgen macht, das hier niemand Krieg nennen darf. Durch Moskau zogen in der Nacht überall Osterprozessionen. Laut Umfragen hat Putin große Unterstützung für seinen Kurs. Die Frage ist, was diese Umfragen wirklich aussagen.
Autorin: Ina Ruck/ARD Moskau
Stand: 25.04.2022 17:38 Uhr
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