So., 13.09.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Russland: Wie die Opposition mundtot gemacht wird
In Moskau sprach er vor Tausenden, hierher hat sich gerade eine Handvoll Zuhörer verirrt. Doch Ilya Jaschin, der Spitzenkandidat des Oppositionsbündnisses, lässt sich nichts anmerken: "Die regierende Putin-Partei", erklärt er den Alten, "lässt die Region verkommen." Er selbst will im Regionalparlament korrupte Beamte und Politiker kontrollieren.
Doch viele bleiben abseits, so wie diese Männer. Die Menschen hier wirken skeptisch und misstrauisch. Ich frage: "Wie gefällt Ihnen, was der Oppositionskandidat sagt?" "Ach, die reden viel und tun wenig," antwortet einer der Männer. Ein anderer sagt: "Die reden so, weil sie regieren wollen. Aber sind sie erstmal an der Macht…"
Die großen Plätze sind verboten
Eine Handvoll Alter, die wenig begeistert wirken, in trostlosen Hinterhöfen, vor Plattenbauten. Wir fragen: "Warum treten sie nicht auf den zentralen Plätzen von Kostroma auf?" Ilya Jaschin antwortet uns: "Dahin lassen sie uns nicht. Mich hat die Polizei sogar bei so einem kleinen Treffen verhaftet und mir die Arme verdreht!"
Es sind lange Tage in Kostroma, erst Abends kommen die freiwilligen Aktivisten im Hauptquartier von Parnas zusammen. Die meisten sind aus Moskau, andere kamen aus Novosibirsk, wo ihr Oppositionsbündnis wie in anderen Regionen auch erst gar nicht zur Wahl zugelassen wurde - Schikanen der Kreml nahen Behörden, glauben sie, die hier in Kostroma sogar den Wahlkampfleiter hinter Gitter brachten.
Alexei Nawalny aus Moskau ist gekommen. Der bekannte Anti-Korruptions-Blogger soll Jaschin helfen, zumindest einen Sitz im Parlament hier zu gewinnen. Doch dann Drehverbot, sie wollen ohne Kameras ihre Strategie für die kommenden Tage besprechen. Das Misstrauen ist groß…
Fahrt durch die Provinz
Ein Tag später: Ilya Jaschins Fahrer braucht nach 400 Kilometern eine erste Pause. Alle sind müde nach zwei Wochen Dauerwahlkampf, und die Entfernungen sind groß, hier in der Provinz. Doch jedes Dorf, jede noch so kleine Stadt ist wichtig für sie, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde schaffen wollen. Denn bei den großen Fernsehsendern taucht die Opposition so gut wie gar nicht auf.
Ilya Jaschin sagt uns: "Ja, das ist aufreibend hier auf dem Land. Die Leute sind sehr konservativ. Es ist schwer, sie aus den Häusern zu locken. Aber ohne diese Anstrengung kann man die Wahl einfach nicht gewinnen."
Ihre Helfer sind vorgefahren und haben bereits aufgebaut, wenn Jaschin einen neuen Ort erreicht. "Hier, in der Provinz", sagt er, "hatten die Leute nie eine politische Alternative, nicht unter den Sowjets und jetzt nicht unter der Kreml-Partei 'Vereintes Russland'."
Behörden vs. Opposition
Obwohl es hier weder Gasanschluss noch warmes Wasser gibt – die Menschen bleiben misstrauisch Jaschin gegenüber. Und die Behörden tun alles, um die Opposition zu behindern.
Ein Wahlkampfhelfer erzählt: "Die Stadtverwaltung hier hat ständig Provokationen gegen uns organisiert: Da kamen Leute in Kampfanzügen, versuchten, unsere Freiwilligen einzuschüchtern. Es gab Fälle, da griffen sie uns an und wollten uns die Russlandfahnen wegnehmen."
Es gibt kein Restaurant in Pavino, aber im Fleischgeschäft soll es auch etwas Warmes zu essen geben, haben sie gehört. Inhaberin Irina warnt: "Saure Sahne gibt's nicht."
Wegen der hohen Fleischpreise will Irina bald zumachen. Ilya Jaschin spricht mit ihr: "Nur noch 3000 Einwohner leben hier..." Irina antwortet: "Ja, 3000. Früher hatten wir hier 150 Kühe. Jetzt gibt es hier gerade noch drei im Dorf. Die Politiker haben uns vergessen", meint Irina. "Von Putins Einheits-Partei war niemand hier."
Jaschin sagt mit Ironie: "Warum sollen die auch Wahlkampf machen wenn sie doch das Fernsehen haben? Das bringt schon das gewünschte Resultat. Alle Dörfer hier werden von Beamten kontrolliert, die für das richtige Wahlergebnis sorgen müssen."
Die Gauner und Diebe Putins
Szenenwechsel: In Scharja, der zweitgrößten Stadt der Region, geißelt Alexei Nawalny die regierende Partei als "Gauner und Diebe", macht Putins milliardenschwere Freunde und deren Korruption für das Elend in der russischen Provinz verantwortlich.
Und dann ein Mann, der ihm, so Nawalny, schon in Novosibirsk und anderen Regionen folgte: Der Provokateur beschuldigt ihn, sich mit dem amerikanischen Botschafter getroffen zu haben. Die Opposition als fünfte Kolonne Amerikas, die auch hier eine blutige Maidan-Revolution inszenieren will – das sind seit langem die Vorwürfe ihrer Gegner. Erst nach einer Weile reagieren die Polizisten.
Nawalny kam in die Kostroma, obwohl er selbst hier gar nicht kandidiert: Seine eigene Partei "Fortschritt" wurde nirgendwo in Russland zur Wahl zugelassen.
Beeren sammeln - ein paar Rubel für's tägliche Überleben. Obwohl nur wenige zu Nawalny kamen, machen etliche uns gegenüber offen Putins Einheitspartei für den Verfall hier verantwortlich.
Ein Mann sagt: "Vereintes Russland besteht doch nur aus Banditen." Wir fragen nach: "Wollen sie dann denn keine andere Partei wählen?" "Wollen wir. Aber welche denn!" Ein anderer Mann resigniert: "Eine ideale Führung gab's nie und die wird es auch nie geben."
Trostloser Wahlkampf
Die nächste Jaschin-Veranstaltung fällt noch trostloser aus als die vorherigen. Die Jaschin-Aktivisten sind in die städtische Kantine geflüchtet: Seit zwei Tagen bereits haben sie hier jedes Haus besucht, dennoch sitzen jetzt gerade einmal vier Frauen Jaschin gegenüber. Konzentriert macht der Politiker aus Moskau dennoch Werbung für seine Ideen. Ein erbitterter Kampf um jeden Wähler, um zumindest eine Stimme im Parlament der Kostroma zu haben und um zu lernen für die nationale Duma-Wahl im kommenden Jahr: Unterliegen sie hier, dann könnte die russische Opposition für lange Zeit völlig den Mut verlieren.
Autor: Udo Lielischkies, ARD Moskau
Stand: 15.09.2015 22:37 Uhr
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