Mo., 21.12.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Wenn die Reichen das Land verlassen
Die Rublowo Chaussee – Russlands Straße der Mächtigen. Täglich schieben sich hier schwarze Limousinen mit getönten Scheiben durch Moskaus Reichenviertel, oft mit Blaulicht.
Hinter diesen hohen Mauern wohnen Russlands Reiche. Journalisten sind hier unerwünscht. Nur mit Hilfe von Alexej, einem Makler, sind wir am Wachdienst vorbei gekommen.
Die Preise fallen
Alexej führt hier wieder mal Verkaufsgespräche. Früher kannten die Preise nach oben keine Grenzen, erzählt er uns. Jetzt verlieren die Häuser an Wert. Die russische Wirtschaft und der Rubel sind schwach: "Die Preise für diese Luxusimmobilien gehen runter. Wir berechnen die Preise in Dollar und die sind auf die Hälfte gesunken. Eine ganze Reihe meiner Kunden gehen nach Europa, um die russische Realität hinter sich zu lassen, sie für einen Lebensstil Europas einzutauschen."
Viele von ihnen haben Angst um ihre Unternehmen. Sobald sie wirtschaftlich wachsen, steige die Gefahr, dass sie in die Fänge des Staats oder der Steuerbehörden gelangen und übernommen werden: "Sie haben Angst um ihre Existenz. Die Unsicherheit ist groß", sagt Alexej.
Viele dieser sogenannten "bisnismeny" und Oligarchen haben sich hier auf historisch getrimmte Adelspaläste bauen lassen. Sie haben längst die alten Staatsdatschen ersetzt. Hier ist man auf Tuchfühlung mit der Macht - auch Putin wohnt hier. Je näher man am Präsidenten wohnt, desto höher der Quadratmeter Preis.
Die Reichen verlassen das Land
Alexejs erstes Objekt: eine Villa mit Spa und Tennisplatz. Ein sogenanntes "Smart House" – komplett ferngesteuert.
Früher haben reiche Investoren alles für diese exklusiven Lagen gezahlt, meint Alexej. Was nicht auf Off-Shore-Konten floss, wurde hier investiert. Doch jetzt verlassen die Reichen das Land und nehmen ihr Geld mit.
Alexej lässt sich von seinem Büro die Preisentwicklung durchgeben; es verschlägt ihm die Sprache: Der Preisverfall ist enorm. Auch er verliert in diesen Tagen viel Geld: "Wir haben mit 12 Millionen Dollar angefangen, sind dann auf zehn runter gegangen. Doch dann rutschten die Preise in den Keller. Und jetzt sind es nur noch 2,5 Millionen, wenn‘s hoch kommt."
Ein Schnäppchen, meint er – und trotzdem ein Ladenhüter. Kaum jemand will im Augenblick in Russland investieren.
Schlechte Geschäfte
Wir fahren in die Luxuseinkaufsmeile in der Rublowka: Die Läden bereiten sich aufs Weihnachtsgeschäft vor. Früher verkauften hier Händler aus Aserbaidschan und Georgien Obst – heute nur die teuersten Designerläden: alles Importwaren in eleganten Flachbauten, die Fassaden aus edelstem Holz. Doch das Geschäft läuft nicht gut in diesem Jahr.
Nur bei den Immobilienmaklern herrscht Hochkonjunktur. Täglich bekommt Irina neue Häuser, die sie verkaufen soll. So viele wie noch nie in ihrer 20-jährigen Karriere als Maklerin. Die Preise purzeln. Viele der Besitzer wollen das nicht wahrhaben, meint sie.
Gerade hat sie ein ernüchterndes Gespräch mit einem Kunden geführt; er will elf Millionen Dollar für sein Haus: "Ich rate ihm: 'Geh‘ auf sieben runter.' Er schweigt. Ich dachte schon, mein Telefon ist kaputt. Dann sagt er: 'Irina, wieso sieben? Ich habe 8,5 investiert. Wieso also sieben?' Ich sage ihm: 'Es ist egal, wie viel Du investiert hast. Die alten Zeiten sind vorbei. In einem Jahr wirst Du das Haus überhaupt nicht mehr verkaufen.'"
Krisensitzung: Zirka 750 Häuser stehen zum Verkauf und es werden immer mehr. Zusammen mit ihren Kollegen überlegt sie Strategien. Wie kann man die Häuser interessanter machen? Mit Sonderangeboten? Wo sollen Käufer herkommen?
Putin zerstört das Land
Wir sind mit Boschena Rynska verabredet, Russlands wohl bekannteste Klatschkolumnistin: einst Ikone eines rauschenden Lebensstils, dann 2012 der Sinneswandel: Vom unpolitischen Glamour-Girl zum Sprachrohr der Opposition.
In ihrem Blog "Bissige Hündin" wirft sie Putin vor, seine Regierung sei dabei, Russland zu zerstören. Das Regime gehe unerbittlich gegen politische Gegner wie Nemzow vor und gegen unliebsame Geschäftsleute.
Deshalb verkaufe sie jetzt ihre Modeaccessoires und ihr Haus in der Rublowka. Sie will all das hinter sich lassen, in Spanien neu anfangen.
Boschena Rynska, Journalistin:
Die Menschen haben Angst vor korrupten Beamten, staatlicher Willkür, meint sie, sie selbst auch. Gegen sie läuft ein Verfahren wegen Staatsbeeidigung. Da verlasse sie lieber das Land - schweren Herzens.
Abstimmung mit den Füßen
Lew Gudkow, einer der angesehensten Meinungsforscher, spricht von einer stillen Protestwelle gegen das Regime Putin. Menschen verlassen das Land, um die Zukunft ihrer Kinder woanders zu sichern. Das Gefühl der Schutzlosigkeit sei groß in der Gesellschaft:
In diesen wohlsituierten Kreisen spreche man bereits von einem Rückfall in die Sowjetunion. Makler Alexej vereinbart bereits den nächsten Besichtigungstermin in der Rublowka: Jemand, der sein Haus so schnell wie möglich verkaufen will.
Autorin: Birgit Virnich, ARD Moskau
Stand: 10.07.2019 09:02 Uhr
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