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Russland: Schattenwirtschaft der Garaschniki

Russland: Schattenwirtschaft der Garaschniki | Bild: WDR

In Uljanowsk gibt es zwei Besonderheiten: Lenin ist hier geboren und es gibt besonders viele Garagen. Die Autos werden aber draußen geparkt. In den Garagen werkeln und arbeiten die sogenannten Garaschniki. Die Garaschniki arbeiten schwarz und in die eigene Tasche. Das Geschäft boomt – je länger die Wirtschaftskrise in Russland anhält.

Geschäftsmodell der Garaschniki stammt aus Sowjetunion

Russland: In den Garagen wird getüftelt und gewerkelt
Russland: In den Garagen wird getüftelt und gewerkelt | Bild: WDR

Er kann sich vor Aufträgen kaum retten. Nail, ein ehemaliger Flugzeugkonstrukteur repariert Autos, vor allem auch die alten Sowjetschlitten. Auch das Geschäftsmodell der Garaschniki stammt aus der Sowjetunion, erzählt er mir. Jetzt, wo die restliche Wirtschaft Russlands daniederliegt, bewährt es sich.

"Viele Werke in der Umgebung stehen still. Große Flächen liegen brach. Allein in der Fabrik hier um die Ecke haben früher 15.000 Menschen gearbeitet. Jetzt nur noch wenige. Vieles verfällt. Und es gibt keine Produkte, die hier hergestellt werden."

Selbst die Overalls, die sie tragen stammen aus dem Ausland. Es sei ein Jammer, klagt er, dass der Staat die Fähigkeiten der Menschen nicht nutze. Wir Russen sind doch ein Volk von Bastlern und Tüftlern. Am liebsten würde er den Präsidenten einmal persönlich daran erinnern.

"Vladimir, es gibt hier viele Menschen, die gerne offiziell arbeiten und auch Steuern zahlen würden. Wir könnten Großes auf die Beine stellen, wenn wir nur zinslose Darlehen bekämen", fordert Nail.

Lohn auf die Hand

Russland: Die so genannten Garaschniki arbeiten schwarz
Russland: Die so genannten Garaschniki arbeiten schwarz | Bild: WDR

Doch solange das nicht der Fall ist, organisiert sich das kleine Kollektiv selbst – so wie in vielen anderen russischen Städten auch. Fanil ist Heizer. Er geht von Garage zu Garage und lädt in den alten Öfen das Holz nach. Es werden immer mehr, die sich hier draußen ansiedeln, meint er. "Wir liefern überall hin, nach Moskau, Samara, Nishny Novgorod oder St. Petersburg. Mittlerweile gibt es hier richtig viele Möbelbauer."

Früher haben die Garaschniki in Fabriken gearbeitet, mussten aber oft wochenlang auf ihren Lohn warten. Jetzt bekommen sie ihn auf die Hand. Manche bessern so ihre mickrigen Renten auf. "Hier kann sich jeder was aufbauen. Besser, als wenn man nur rumsitzt und auf die Almosen der Regierung wartet", findet Irina.

"Ich hoffe nur, dass sie uns nicht schließen und uns einfach in Ruhe arbeiten lassen. Aber es kann natürlich jederzeit passieren, dass jemand kommt und sagt, das Land hier gehört jetzt mir. Haut ab", sagt Bairam.

Desillusioniert vom Staat

Russland: Schattenwirtschaft in Garagen
Russland: Schattenwirtschaft in Garagen | Bild: WDR

Allein in Uljanowsk werden schätzungsweise 12.000 Garagen kommerziell genutzt,
vierzig Prozent der russischen Bevölkerung arbeiten mittlerweile in der Schattenwirtschaft. Auch immer mehr junge Leute bauen sich so eine Existenz auf. Auch sie sind desillusioniert vom Staat. Solange die Beamten den Staat als Selbstbedienungsladen nutzen, müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, meinen sie.

Sasha und Dimitri sind die ersten Gitarrenbauer im Kollektiv und beliefern mittlerweile schon die ganze Region. "Ich glaube, dass die wirtschaftliche Entwicklung, die wir in diesem Land erreicht haben, von so einfachen Menschen wie uns ausgeht. Der Staat hat nicht viel dazu beigesteuert".

Ganz im Gegenteil, meint Sasha, die Behörden behindern einen geradezu. Unterstützung für junge Start-ups, wie in anderen Ländern gibt es in Russland kaum. "Es müsste viel weniger Kontrollen und Hindernisse geben. Feuerauflagen, Steuerprüfungen – ständig kontrollieren sie dich und schmeißen dir Knüppel zwischen die Beine, ohne dass das irgendetwas bringen würde".

Garaschnik im sozialen Netz

Russland: Dieser Garaschniki ist bereits ein Internet-Star
Russland: Dieser Garaschniki ist bereits ein Internet-Star | Bild: WDR

Der alte Nail erklärt sogar vor der Kamera seines Freundes, wie man einen Vergaser repariert. Inzwischen ist der Garaschnik zum Internetstar aufgestiegen. Auf die Idee brachte ihn sein Sohn. "Lass uns einen Kanal aufmachen. Was denn für ein Kanal. Dann wirst du auf YouTube zu sehen sein. Was ist denn YouTube. So ein soziales Netz halt", erzählt Nail.

Hundertausende klicken mittlerweile seine Videos an. Er erkläre es so, dass selbst ein Idiot diesen Vergaser in nur 20 Minuten reparieren könne, meint er. "Wir haben viele Probleme. Aber bei uns traut sich doch mittlerweile keiner mehr was zu sagen. Und wenn, dann taucht man ganz schnell wieder ab und verschwindet in der Masse, um ja nicht aufzufallen".

Auffallen wollen auch die Garaschniki nicht. Hinter verschlossenen Türen betreiben sie ihre eigene Volkswirtschaft. Jegliche Versuche der Regierung Steuern zu erheben, auch um die leeren Staatskassen zu füllen, sind bisher gescheitert.

Autor: Birgit Virnich / ARD Studio Moskau

Stand: 14.07.2019 04:27 Uhr

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