Mo., 23.01.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Surfen im Eis
Sie sind auf dem Weg zu ihrem Lieblingsstrand. Den können Anton und Konstantin nur mit einem Schneemobil erreichen. Straßen gibt es keine im wilden Kamchatka, nur Schotterpisten. Anton Marozov ist in der Wildnis Kamtchatkas aufgewachsen. Sein Freund Konstantin ist aus Moskau angereist.
Auf der sibirischen Halbinsel von der Größe Deutschlands leben gerade einmal 340.000 Einwohner. Hier gibt es mehr Vulkane als Menschen, heißt es. Die beiden gehören zu den wenigen Surfern, die auch bei Minustemperaturen aufs Wasser gehen. Auf Bali kann jeder surfen, meinen sie, doch hier sind die Bedingungen rau, das Klima schonungslos. Die beiden sind skeptisch. "Das ist uns schon öfter passiert. Wir starten bei gutem Wetter und dann auf dem Weg zum Strand schlägt es um. Als wir ankamen, sah ich schon die graue Front und mir war klar, dass ein starker Wind vom Meer weht. Fürs Surfen nicht gut."
Die Natur lässt sich eben nicht bändigen, oder mit einer App vorhersehen. Hier lieferst du dich der Natur aus. Und wie aus dem Nichts zieht ein Schneesturm auf und fegt drei Tage lang über die Halbinsel am östlichsten Rand von Russland.
Surfer wirken wie aus einer anderen Zeit
Wir sind 6700 km von Moskau entfernt. Die meisten hier leben vom Fischfang oder in der Fischverarbeitung. Vieles muss importiert werden. Die Siedlungen wurden zu Sowjetzeiten schnell hochgezogen. Sie sind in die Jahre gekommen. Auch Antons Vater ist früher auf einem Trawler zur See gefahren. Andere arbeiten für das russische Militär in einer für uns gesperrten Stadt, einem Stützpunkt der Pazifikflotte mit Atom-U-Booten. Hier geht es ums Überleben. In jeder Hinsicht. Die Surfer wirken wie aus einer anderen Zeit.
"Solange keine Hunde durch die Luft fliegen, ist alles ok. Der Wind hat sich schon etwas beruhigt. In der Nacht war er noch richtig heftig. Wir haben gelernt, damit zu leben. Aber ans Surfen ist nicht zu denken." Doch auch der Sturm hält die beiden nicht davon ab, auf ihre Surfbretter zu steigen – und sie als Snowboards zu nutzen. Die halten das aus, meinen die Jungs. Sie sind "made in Kamchatka", wurden von Freunden hergestellt.
Traum von einem russischen Surferparadies
Ihr Traum: Eines Tages soll in Kamtchatka eine ganze Industrie rund ums Surfen entstehen. Noch hält man die Surfer mit ihren Instagramprofilen für verrückt. Wie soll man denn davon leben, fragt sich Antons Vater. Aber die beiden glauben daran. Mit einer Fotoausstellung wollen sie Einblicke in die Kultur des Surfens geben. Denn das ist in Russland noch relativ neu. Die Surfbretter wurden von jungen Männern aus Kamtschatka selbst hergestellt.
Für die Party am Abend sind sie von nah und fern angereist. So wie das Surfen in Amerika eine bedeutende Bewegung wurde, hoffen sie, dass ihnen das auch in Russland gelingen wird. Schließlich ist man hier näher an Seattle oder Tokio, als an Moskau und die Menschen sind generell weltoffener. Die Gelassenheit der Surfer tut Russland gut, meinen sie.
Der Schaum gefriert auf den Wellen
Anton und Konstatin fahren wieder zum Meer. Dieses Mal sind sie erfolgreich. Endlich. Anton ist glücklich. Am nächsten Morgen versuchen Anton und Konstantin erneut ihr Glück auf dem Wasser. Der Sturm ist abgeflaut. Konstantin aus Moskau hat Jahre gebraucht, bis er sich getraut hat.
Bei -15 Grad liegt die Wassertemperatur bei 1 bis 2 Grad. Der Nordpazifikstrom sorgt dafür, dass die Beringsee hier so gut wie nie einfriert. Antons Rekord liegt bei -22 Grad Lufttemperatur. Da war das Wasser -4 Grad. Bei solchen Temperaturen friert der Schaum auf den Wellen und es knirscht überall. Für ihn war es der größte Kick in seinem Leben. Nur die Besten der Besten stellen sich bei dieser Eiseskälte in der rauen Beringsee aufs Brett.
"Da draußen kannst du dich nur auf dich selbst verlassen. Das Meer hat hier eine unglaubliche Kraft. Im Kampf gegen die Strömung verlierst du viel Energie. Gerade heute konnte ich noch den Sturm spüren, während ich versuchte eine Welle zu fangen."
Für die beiden steht fest: Den russischen Surfern gehört die Zukunft.
Birgit Virnich/ARD Studio Moskau
Stand: 13.07.2019 18:22 Uhr
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