So., 10.04.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: Der Umgang mit den toten Soldaten
Tod im Krieg mit Anfang 20
Dmitrij wurde 19 Jahre alt. Iwan, 21. Roman starb genau an seinem 21. Geburtstag. Jede Woche kommen auf den Friedhöfen in Wolgograd neue Gräber hinzu. Meist junge Soldaten, gestorben für die sogenannte "Spezial-Militäroperation" ihres Präsidenten. "Diese jungen Leute sollten ihr Leben genießen können", sagt eine Frau. "Sie hatten es noch vor sich. Niemand braucht Krieg, schon gar nicht wir einfachen Leute. Wir haben keinerlei Hass auf die Ukrainer." Eine andere Frau meint: "Menschen sterben auf beiden Seiten. Aber was kann man tun? Schauen Sie, wie der Arme da jetzt liegt."
Täglich trauern in Russland Verwandte, Kameraden, Freundinnen und Freunde. Meist weit weg von Moskau, wie hier in Wladikawkas im Kaukasus, in Astrachan im Wolgadelta. Oder im Irkutsker Gebiet in Sibirien. 1.351 gefallene Soldaten gibt das Verteidigungsministerium Ende März offiziell an. Westliche und ukrainische Stellen Quellen nennen wesentlich höhere Zahlen. In Wolgograd erleben wir trotz der vielen Gefallenen aber nicht nur Trauer, sondern auch Rechtfertigung. "Es tut sehr weh", meint eine Frau. "Aber es ist notwendig. Ohne Opfer geht es nicht. Gott ist mit uns. Wir siegen!"
Wolgograd ist eine der Städte, die die Russen besonders mit Sieg verbinden. Im Zweiten Weltkrieg wurde das damalige Stalingrad von den Nazis belagert. Die Schlacht um Stalingrad endete mit einem Sieg für die Sowjetunion. Er hat in der Schlacht um Stalingrad gekämpft. Der 97-jährige Veteran Viktor Schestel kennt das Grauen des Krieges, weiß um die neuen russischen Gefallenen, unterstützt aber Putins Kurs. "Es tut sehr weh, dass sie sterben. Aber für Russland gab es keinen anderen Weg, um seine Grenzen zu verteidigen und die Ukraine aus der NATO herauszuhalten. Überfallen wir etwa ein Land? Haben wir einen Angriff vorbereitet? Nein. Die Spezialoperation, die jetzt in der Ukraine durchgeführt wird, die war notwendig und sie ist von den USA und der NATO provoziert worden!"
Sowjetromantik und der vermeintliche Kampf gegen Nazis
Kremltreue Behauptungen, die auch von Wolgograds Kommunisten vertreten werden. Per Autokorso vorbei am Lenin-Denkmal. Ihren nostalgischen Erinnerungen an die Sowjetzeit gibt Putins Militäroperation in der Ukraine neue Hoffnung. Was die Ukrainer darüber denken – zweitrangig. "Wahrscheinlich träumt jeder Russe davon, dass wir uns neu vereinigen, ein Volk werden wie in der Sowjetunion", sagt Wladimir Skuridow – ganz auf Linie der Erzählung der russischen Führung. In der Ukraine seien wieder Nazis an der Macht. Wie damals fordere dieser Kampf eben Opfer. "Jetzt während der Militäroperation, wenn sich die Nazis widersetzen, gibt es natürlich Verluste auf beiden Seiten. Die sind unausweichlich." Von Gräueltaten russischer Soldaten in der Ukraine will er nichts wissen. Die Kommunisten formen mit ihren Autos ein "V”, das für Russlands Truppen in der Ukraine steht. Im Hintergrund erinnert die Mutter-Heimat-Statue an den Sieg über die Nazis im Zweiten Weltkrieg. So viel Symbolik.
Leninsk, eine Stunde Autofahrt von Wolgograd entfernt. Auf diesem Friedhof wollen sie sich heute vom 26-jährigen Andrej verabschieden. Auch er wurde als Soldat in der Ukraine getötet. Die Trauergäste haben die Anweisung, nicht mit der Presse zu reden. Das deutsche Fernsehen ist nicht gern gesehen. Die örtliche Polizei behindert uns bei der Arbeit. Nach einigen Diskussionen entschließen wir uns, aus Sicherheitsgründen wieder zu fahren. Der Tod der eigenen Soldaten in Russland – vor Ort jeweils eine Tragödie, doch in den weitläufigen Regionen des Landes kaum spürbar. Und die Staatsführung plakatiert: "Für die Unseren!” Gefallene gelten damals wie heute als Helden – gestorben für eine bedeutende historische Sache.
Autor: Demian von Osten, ARD-Studio Moskau
Stand: 26.05.2022 12:44 Uhr
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