So., 29.05.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland/Ukraine: Getreide als Waffe
Getreide ist in vielen Teilen der Welt knapp. Die Ukraine kann weniger exportieren als früher. Russland will Zugeständnisse bei den Sanktionen im Gegenzug für Getreideexporte. Im Krieg wird auch Getreide zur Waffe.
Russland profitiert von steigenden Getreide-Preisen
Auf solche Bilder hoffen sie, wenn Russland von Rekordernten für dieses Jahr spricht. 12 Millionen Tonnen mehr Weizen als im letzten Sommer erwarten Experten. Vor allem dank guten Wetters. Solche Nachrichten besprechen sie gern, wenn Getreide zum Thema auf den höchsten Ebenen wird. Präsident Putin verkündet die erwartete Rekordernte in Russland persönlich. "So können wir nicht nur selbst Vorräte anlegen, sondern auch unsere globalen Partner besser versorgen. Das ist sehr wichtig für die Lebensmittelmärkte der Welt.”
Doch Putins Russland sieht sich im Krieg mit dem Westen. Auch Getreide wird da zur Waffe. Die Getreidepreise sind seit Februar um 50 bis 60 Prozent gestiegen. Davon profitiere auch Russland, sagt Agrarexperte Andrej Sisow. "Russland ist der Haupt-Weizen-Exporteur der Welt. Falls es keine weiteren Ausfuhr-Beschränkungen gibt, wird Russlands Weizen einen Anteil von 20 Prozent am weltweiten Weizen-Export ausmachen. Das lässt sich nicht einfach anderweitig ersetzen.”
Getreide aus der Ukraine kommt kaum noch aus dem Land
Diese Abhängigkeit kennt man in Russland. Das Staatsfernsehen berichtet über das nationale Getreideforum. Die Botschaft: Der Export russischen Weizens sei durch die Sanktionen des Westens erschwert worden. Russland fordert Zugeständnisse vom Westen. "Ich möchte unterstreichen, dass für mehr Lebensmittelsicherheit in der Welt Russland bereit ist, seinen ausländischen Partnern hochwertige Produktion zu liefern", so der russische Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew. Doch: Kein Wort im Staatsfernsehen darüber, dass Russland diese Getreide-Krise selbst geschaffen hat.
Der Hafen von Odessa. Hier lagern große Mengen des ukrainischen Getreides, Weizen und Mais. Odessa ist neben Mykolaiv der wichtigste ukrainische Hafen für den Export. Auch die Ukraine ein Haupt-Weizenlieferant der Welt. Doch Russlands Militär hat die See vor der ukrainischen Küste gesperrt. Auf Schiffstracking-Webseiten besonders eindrücklich zu sehen. Das Schwarze Meer vor Odessa und das Asowsche Meer vor Mariupol hier rechts – absolut leer. Getreide aus der Ukraine kommt kaum aus dem Land. "In Friedenszeiten konnte die Ukraine 6-7 Millionen Tonnen Getreide pro Monat ausführen", sagt Getreideexperte Andrej Sisow. "Jetzt, auch mit Hilfe der EU, lässt sich nur eine Million, maximal 1,5 Millionen Tonnen Getreide pro Monat exportieren.”
Russland fordert Zugeständnisse des Westens
In den neu eroberten Gebieten versucht Russland eine Illusion von Normalität zu zeigen. Das Verteidigungsministerium verbreitet Bilder von Minenräumung am Strand von Mariupol. Aus dem Hafen soll das erste Schiff abgelegt haben – nach Russland. Journalisten können hier nicht unabhängig arbeiten. Russland wird außerdem der Diebstahl von Getreide aus besetzten Gebieten vorgeworfen. Auf der Halbinsel Krim würde es auf russische Schiffe verladen. Russland dementiert das vehement.
Zusätzlicher Druck auf die Weizenpreise entsteht, weil der Export des Weizens aus Russland im Frühjahr zurückgegangen ist. Eigene Quoten beschränken die Ausfuhr. "Russland hortet seine eigenen Getreideexporte wie bei einer Erpressung", sagt die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen. "Es hält Waren zurück, um die Preise in die Höhe zu treiben oder versucht im Tausch gegen Weizen politische Unterstützung zu erreichen." Russland sieht sich beim Weizen am längeren Hebel, fordert Zugeständnisse des Westens. Experten erwarten einen starken Anstieg des russischen Getreideexports im Sommer – wegen der aktuellen Preise dann wohl auch mit hohen Gewinnen für Russland.
Autor: Demian von Osten
Stand: 29.05.2022 21:03 Uhr
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