So., 30.07.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: Urlaub in Zeiten des Krieges
Die Flugzeuge kommen aus allen Ecken des Landen. Sehen und gesehen werden. Und am Strand fallen die Hüllen, manchmal… Sommer, Sonne satt – in Sotschi, in Russland. In den Bars fliegen die Haare und die Kleider. Partystimmung.
Wir treffen Kristina und ihren Freund Anton aus Stawropol. Wie viele Russinnen und Russen machen sie nun Urlaub im eigenen Land. Die geltenden Sanktionen, die komplizierten Flugverbindungen und die verschärften Einreiseregeln für viele Länder machen das Reisen für Russ:innen schwerer. "Vom Prinzip her könnte man könnte natürlich schon ins Ausland fahren, aber nur rein theoretisch. Ja, aber wenn wir nun von der Schwarzmeerküste als Urlaubsziel sprechen, dann ist das für uns ganz klar Sotschi", sagt Anton und Kristina ergänzt: "Sotschi ist auch viel moderner. Ja, die Architektur ist hier schon modern, auch im Sinne von high-tech."
Kristina arbeitet in der Beautybranche, Anton hat eine kleine Firma: Allerdings seit letztem Jahr, spätestens seit Beginn des Krieges, hat sich auch für sie einiges verändert, nicht nur in Bezug auf das Reisen: "Ich habe eine Werkstatt für Fenster und ein Mitarbeiter von mir hat sich freiwillig zur Spezialoperation gemeldet, einfach um seine Familie zu ernähren. Darüber denken hier im Land viele nach, verstehen Sie?", erzählt Anton. "Aber dieser "Job" birgt doch einige Risiken?" "Naja, jeder trifft am Ende seine eigenen Entscheidungen. Ich bin nicht dort, also kann ich das nicht wirklich beurteilen", antwortet Anton weiter.
Propaganda an der Promenade
Mini-Soldaten am Strand von Sotschi – verkauft werden die in einem Laden, direkt an der Promenade. Neben so manchem anderem Militärgerät und Personen der Zeitgeschichte. Nichts, was es nicht gibt. Außer Putin, der ist ausverkauft, erzählt uns die Verkäuferin, wer aber kauft das alles? "Man muss natürlich schon Unterschiede machen zwischen den Interessenten. Kinder mögen eher diese ganzen militärischen Sachen, die Flugzeuge, die Jungs zeigen großen Eifer, was das Thema angeht, es sind doch Jungs. Sie mögen Panzer, gepanzerte Fahrzeuge. Eigentlich alles, was die militärische Thematik angeht – Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber, Autos", erzählt Verkäuferin Jelena.
Nicht nur im Souvenirshop am Strand auch in der Stadt, in Sotschi, gibt es Hinweise auf die sogenannte Spezialoperation. An den Straßenrändern und auf einer der Hauptstraßen im Ort, immer die Buchstaben Z und V. Die werden mit der Spezialoperation in Verbindung gebracht. Sotschi war und ist Russlands Badewanne. Aktuell allerdings prallen hier Welten aufeinander, Menschen aus allen Regionen des Landes machen hier Urlaub. Und damit auch Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen, die Propaganda wirkt. Auch aus den von Russland annektieren Gebieten, wie der Krim kommen sie nach Sotschi, wie die 35-jährige Lehrerin Jana mit ihrer Tochter: "Die Russische Föderation ist ein starkes Land. Und die Menschen auf der Krim sind ursprünglich Russen, das sind keine Ukrainer, sie sind keine Ukrainer, sie sind Russen. Auch die Menschen im Donbass sind auch Russen. Wir wollen nicht so leben, wie ihr das für uns wollt, wie wir leben sollen. Wir wollen das selbst entscheiden. Und unsere Entscheidung für die Krim haben wir 2014 für uns selbst entschieden."
Ausländische Toursti:innen aus russlandnahen Ländern
Von Sotschis Stränden im Süden nach St. Petersburg. Russlands Perle im Norden. Auch hier hat die sogenannte Spezialoperation den Tourismus kräftig durcheinandergewirbelt. Viele westliche Tourist:innen hatten die Kultur und Stadt in den letzten Jahren für sich entdeckt. Und nun? Nun ist die Stadt in den Sommermonaten immer noch voll – vor allem mit Russ:innen und mit Tourist:innen aus Ländern, die mit Russland weiter im Austausch sind wie dem Iran oder China. "Hier ist es doch friedlich. Es ist doch kein Krieg, hier in St. Petersburg", sagt Ta Cha Ha, ein Tourist aus China. "China und Russland haben ja eine besondere Freundschaft, die anders ist, im Vergleich zu anderen Ländern. Das ist so schön. Und das macht es auch attraktiv für uns. Wir hier kommentieren die Politik nicht, ich mag die Landschaft und die Leute hier und über die anderen Sachen machen wir uns keine Sorgen", erzählt Chen Yi, ebenfalls chinesische Touristin. "Also mir scheinen die Russen eher etwas ernst. Ich weiß nicht, kann nicht in ihre Köpfe schauen, was los ist, was sie denken, besonders jetzt in der Zeit, wenn es einen Krieg gibt", sagt Foroud, ein Tourist aus dem Iran.
Im Hostel "Soul Kitchen" in St. Petersburg erinnern nur noch die Pinnadeln an die Gäste, die einst aus der ganzen Welt in Russlands Norden gekommen waren. Das Haus, einst unter Budget-Travellern sehr beliebt, eine Topadresse, gelistet in den wichtigsten Reiseführern und Internetportalen. Besitzer Sergey Sorokin musste nun notgedrungen umdisponieren. Seine NEUEN Gäste: meist Langzeitmieter aus ganz Russland: "Erst hat Corona alles verändert, die Grenzen waren zu und jetzt die militärischen Ereignisse. Ich denke, die Hälfte der Ausländer hat Angst zu kommen, die anderen kommen aus Protest nicht. Deshalb sind hier statt 80 Prozent nur noch höchstens fünf. Mir fehlen die Ausländer hier, das war wunderbar, man kam hierher und hatte das Gefühl auf einer Reise zu sein, das habe ich geliebt."
Zurück in den Süden. Nach Sotschi. Kristina und Anton machen eine einstündige Sunsettour. Sie sind jung, wollen eine Familie gründen, sie hoffen auf eine Zukunft in ihrem Land, in Russland. "Natürlich kommen die guten Zeiten wieder. Das hoffen wir. Wir brauchen Veränderungen, kaum jemand redet öffentlich davon, aber wir glauben daran, dass irgendwann wieder alles normal wird. Sie denken so – das ist bei den Leuten schon mental im Kopf drin", sagt Anton.
Und so träumen sie besseren Zeiten entgegen – in Russland und in der Welt.
Autorin: Sabine Krebs / ARD Studio Moskau
Stand: 30.07.2023 20:01 Uhr
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