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Ukraine: Krieg der Drohnen

Ukraine: Krieg der Drohnen | Bild: REUTERS / Sofiia Gatilova

So dicht an der Front ist jeder Moment unter freiem Himmel gefährlich. Es muss schnell gehen, die Soldaten könnten entdeckt werden. Denn was aussieht wie ein Plastik-Hai, ist die wichtigste Waffe dieser Einheit im Osten der Ukraine: Eine moderne Aufklärungsdrohne. Mit der Drohne fliegen sie rund 40 km weit, tief hinter die russischen Linien. Pilot und Co-Pilot sitzen versteckt in einem umgebauten Lieferwagen.

Ukraine: Drohnen sind schon jetzt brutale Wirklichkeit: anonym, ferngesteuert und tödlich.
Ukraine: Drohnen sind schon jetzt brutale Wirklichkeit: anonym, ferngesteuert und tödlich. | Bild: WDR

"Wir müssen da drüben fast schon hochziehen", sagt Yurij. Er ist der Co-Pilot. Wenn sie Ziele entdecken, gibt er die Koordinaten weiter: "Es gibt einige Geschützstellungen da drüben. Jetzt werden wir das bestätigen und die exakten Positionen finden. Das ist die Mission." Ich fliege, du stirbst, steht auf dem Aufnäher. An der Front nehmen Drohnen-Aufklärer eine Schlüsselrolle ein. Heißt auch: Sie sind selbst wertvolle Ziele. Hat Yurij manchmal Angst? "Wir versuchen, deren Kontrollstationen am Boden oder Abschussrampen aufzuspüren und sie mit Artillerie anzugreifen. Also, definitiv sind wir das gleiche Ziel für sie. Ja, klar", sagt er.

Alle Daten des Flugs sind top secret. Selbst die Bildschirme dürfen wir live nicht abfilmen, so heikel sei die Mission der Aufklärer, so zentral ihre Rolle, erklärt Kommandeur Oleksandr: "Drohnen sind so wichtig, weil gerade 90 Prozent der Verluste des Feindes durch Artillerie entstehen. Und deren Effektivität hängt vor allem von der Aufklärung ab."

Drohnen aus ziviler Produktion

Ob der Drohnenflug erfolgreich ist, erfahren wir erst später. Dafür müssen die Piloten vor allem der russischen Luftabwehr entgehen und – fast noch häufiger, sagen sie – den Schüssen verängstigter eigener Truppen. Denn der Drohnen-Krieg hat in der Ukraine eine neue Dimension erreicht. Heute bringen ferngesteuerte Drohnen tausendfach Tod, Angst, Zerstörung. Aber nicht nur auf dem Schlachtfeld. Ukrainische Städte werden systematisch und gezielt mit Kamikaze-Drohnen attackiert. Moskau meldet ebenfalls Angriffe. Inzwischen ist es auch ein Krieg der Waffen-Tüftler. In dem Zivilisten mitmischen.

So wie hier. In einer fensterlosen Kiewer Keller-Werkstatt schrauben Freiwillige kleine, günstige Angriffsdrohnen zusammen. Viele sollen nur ein einziges Mal fliegen: Kamikaze-Drohnen. Leo ist gerade einmal 16 Jahre alt und bastelt daran, wie Granaten während des Flugs ausgeklinkt werden können: "Zur Zeit sind Sommerferien und deswegen habe ich viel Freizeit. Deswegen habe ich entschieden zu helfen", sagt er.

Die grünen Auslöser werden an herkömmliche, zivile Drohnen aus China gebunden. Anton, der Chef hier, zeigt, wie die Auslöser hergestellt werden: Mit automatischen 3D-Druckern: "Das ist der Teil, der am längsten dauert. Drucken kann bis zu 20 Stunden dauern oder mehr. Je nachdem, was man druckt. Hier sieht man schon die Bestandteile der Auslöser." Die Drucker sind gespendet, die meisten Materialien selbstgekauft, sagt Anton.

Die Logik: Schon eine 400-Euro-Drohne kann millionenschwere Panzer zerstören. Aber weil viele Drohnen an der Front nur wenige Tage überstehen, ist die Nachfrage enorm. Wie hoch die Verluste pro Tag sind, weiß niemand genau. Aber Anton glaubt: Ohne die Bastelei von Freiwilligen würde der Nachschub zusammenbrechen: "Die Regierung sollte sich definitiv mehr darum kümmern, sollte dem mehr Beachtung schenken, sollte verstehen, warum diese Drohnen so wichtig sind. Und daran arbeiten wir mit der ganzen Drohnen-Community."

Auch in Zukunft: Drohnen statt Soldaten

Wie viele Angriffsdrohnen sie hier pro Woche zusammenschrauben, wollen sie nicht sagen. Nur: Es seien nicht genug. Manche von ihnen landen in diesem Kommandopunkt in der Nähe von Bachmut. Hier laufen Livestreams von über 100 Fluggeräten zusammen – in Echtzeit. Bildschirme, Feldbetten – alles in einem Raum. Herman überwacht die Einsätze. Er entscheidet, wo und wann sie mit den selbstgebauten Drohnen zuschlagen: "Das ist zivile Technik, keine militärische. Das muss man verstehen. Die simple Elektronik macht es schwierig. Die darf auf keine Störsender treffen. Wenn einer das nicht begreift, dann ist die Operation vorbei."

Ukraine: Mithilfe von Aufklärungsdrohnen werden feindliche Abschussrampen aufgespürt.
Ukraine: Mithilfe von Aufklärungsdrohnen werden feindliche Abschussrampen aufgespürt. | Bild: WDR

In sicherer Umgebung führen Soldaten die Kamikaze-Modelle vor. Normalerweise fliegen sie die Drohnen mit Sprengstoff beladen direkt ins Ziel, heute sind zur Übung nur Granat-Attrappen festgebunden. Gesteuert wird per Videobrille und Livebild. Ein Trend, eine Entwicklung im Drohnenkrieg, beobachtet Herman: "Wir müssen die Technik laufend verändern, damit sie funktioniert. Auf jede unserer Maßnahmen erfolgt eine Gegenmaßnahme der anderen. Aktion, Reaktion. Und wenn man nicht weiterentwickelt, dann hat die Technik eine sehr kurze Lebensspanne." Für die Zukunft sagt er ein Wettrüsten voraus – zwischen russischen und ukrainischen Ingenieuren. Aber Hauptsache sei: Dass Drohnen zukünftig noch mehr Einsätze übernehmen werden, für die seine Soldaten heute noch ihr Leben riskieren müssen.

Noch einmal zurück ins Kampfgebiet. Bei dem Aufklärungsflug ist alles gut gelaufen, sagen die Soldaten. Dieses Video schicken sie später: Es soll zeigen, wie sie versteckte russische Artillerie entdecken haben. Bald sollen die Angriffe folgen. Sind kommende Kriege ohne Drohnen überhaupt noch vorstellbar? "Ich denke nicht. Sollte es, Gott bewahre, weitere Kriege geben, werden sie nur mit Drohnen geführt werden", sagt Oleksandr.

In der Ukraine sind sie jetzt schon brutale Realität. Anonym, ferngesteuert, tödlich.

Autor: Tobias Dammers

Stand: 30.07.2023 20:02 Uhr

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