So., 21.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Saudi-Arabien: Fußballboom mit Folgen
Kicken am Strand – und das als Frau. Bis vor kurzem war das in Saudi-Arabien noch undenkbar. Und auch jetzt ist es die Ausnahme. Auch nicht für Saja, mit der ich mich zum Beachsoccer verabredet habe. "Du hast Zuschauer", sagt ARD-Korrespondent Ramin Sina. "Ist irgendwie seltsam, so in der Öffentlichkeit. Weißt du, das ist das erste Mal, dass ich in der Öffentlichkeit spiele", erzählt die saudische Influencerin. "Wirklich? Du hast nie draußen gespielt?" "Wie hier an der Corniche, auf einem öffentlichen Platz? Nein, niemals." "Und wie fühlt es sich an?" "Ich bin nervös, um ehrlich zu sein. Alles wirkt viel entspannter, viel offener. Als wäre es ganz normal. Es ist schön. Ein gutes Gefühl."
Saja feiert ihren 34. Geburtstag. Von klein auf ist sie fußballbegeistert. Aber sie durfte nur heimlich spielen. Nur heimlich Fußball schauen. "Weißt du noch in Dammam, als ich mich ins Stadion geschlichen habe? Mit meinen Brüdern. Die Haare unter einem Hut versteckt? Ich hab meine Mutter in den Wahnsinn getrieben", sagt sie. "Sie hat sich reingeschlichen, ich hab im Auto gewartet, weil Frauen nicht ins Stadion durften. Sie ist rein, hat die Haare versteckt", erzählt die Mutter. "Ich war zwölf." "Jünger! Elf." "Ich hab ausgesehen wie ein kleiner Junge." "Wie waren die letzten fünf Jahre?", fragt Ramin Sina. "Manchmal kann ich es gar nicht glauben. Dann muss ich mich kneifen und mir sagen: Das passiert gerade wirklich. Frauen sind im Fernsehen. Sie spielen. Es ist offiziell. Aber manche haben das eben noch nicht gesehen. Alles ist so frisch, du interviewst mich heute aber vor zwei Monaten durften Frauen noch nichts in den Medien über Fußball sagen. Das ist ganz neu in Saudi-Arabien. Noch immer sagen Leute: Wie kann es sein, dass ihre Mutter sie unterstützt, warum ist es ok, dass ihre Tochter Fußball spielt?", antwortet Saja Kamal.
Der Fifa-Präsident lobt
Seit 2022 gibt es eine landesweite Fußballliga der Frauen, sogar mit Liveübertragung, wie hier beim Derby von Dschidda. Vor wenigen Jahren durften Frauen nicht einmal ins Stadion, jetzt schreiben sie Geschichte – auf und neben dem Platz. "Das hier zu sehen, wie Frauen jetzt Fußball spielen dürfen. Wie geht es Ihnen damit?" "Wenn Sie wollen, dass ich vor der Kamera weine – das könnte ich. Diese Frauen verdienen Anerkennung. Sie haben einen langen Weg hinter sich. Sie sind Pionierinnen. Wir sind sehr stolz auf sie", sagt Lamia Bahaian, die Vize-Präsidentin des saudischen Fußballverbands.
Sogar Fifa-Präsident Gianni Infantino lässt sich hier blicken. Die Geschichte der saudischen Fußballerinnen passt gut zur Eigenwerbung der FIFA: Fußball als Entwicklungshilfe. Eigentlich steht er für uns nicht für ein Interview zur Verfügung, ich versuche es trotzdem und kämpfe mich vor. "Zwei Fragen fürs Deutsche Fernsehen?", fragt Ramin Sina. "Eine! Eine schnelle!", sagt Gianni Infantino. "Herr Präsident, was war Ihr Eindruck von diesem Fußballspiel der Frauen?" "Ich war sehr beeindruckt, vor ein paar Jahren gab es keinen Frauenfußball in Saudi-Arabien. Jetzt gibt es Derbys, eine gute Kulisse. Wir müssen Respekt zollen für das, was hier gerade passiert." "Also liegt die Zukunft des Fußballs hier?" "Die Zukunft des Fußballs ist überall auf der Welt. Fußball verbindet. Wir machen den Fußball global."
Kritik im Land – unerwünscht
Lange hatten saudische Herrscher ihr Land abgeschottet. Nun wollen sie Tourist:innen aus der ganzen Welt anlocken, auch durch den Fußball. In die Altstadt von Dschidda etwa, UNESCO-Weltkulturerbe. Reich wurde das Land durch Erdöl. Zwischen Rotem Meer und Persischem Golf liegen die zweitgrößten Ölvorkommen der Welt. Und nun wollen die Saudis mitspielen im Weltfußball-Business. Kaufen für irre Summen Weltstars: Cristiano Ronaldo. 215 Millionen Euro soll er pro Saison bei Al-Nassr verdienen. Karim Benzema kam von Real Madrid und soll nun mindestens 70 Millionen Euro kassieren, pro Jahr. Neymar wechselte aus Paris nach Riad. Und streicht bei Al-Hilal wohl mindestens 86 Millionen Euro ein. Lionel Messi lässt sich als Tourismus-Botschafter bezahlen für 22 Millionen Euro. "Alles was wir tun, was wir erreichen, soll der saudischen Bevölkerung dienen. Es geht ausschließlich darum die Lebensqualität, den Lifestyle und das Entertainment-Angebot der Saudis zu bereichern", sagt Carlo Nohra von der Saudi Pro League.
Doch Andersdenkende leben noch immer gefährlich. Frauen wie Lojain Al-Hathloul. Jahrelang hatte sie sich gegen das einstige Fahrverbot für Frauen eingesetzt – und kam dafür ins Gefängnis. Jetzt ist sie zuhause, darf aber Saudi-Arabien nicht verlassen. Ein Reiseverbot, auf unbestimmte Zeit. Ihre Schwester Lina lebt im Exil. Deshalb kann sie sich frei und kritisch äußern. Ich treffe sie in Europa. Sie findet Fußballer, die keine Missstände ansprechen, ließen sich als Propagandamittel des saudischen Regimes ausnutzen. "Benzema, Neymar, Cristiano – alle die nach Saudi-Arabien gehen, akzeptieren, den Mund zu halten. Und da wird es wirklich gefährlich. Denn diese Bilder stehen letztlich für Saudi. Wenn sie ruhig bleiben, akzeptieren sie, die saudische Regierung zu repräsentieren. Und alle schauen weg, wenn es um die Unterdrückung in Saudi-Arabien geht. Keiner will wissen, was wirklich passiert."
Aber geht die saudische Strategie auf? Klar ist, an dem fußballbegeisterten Land kommt in den nächsten zehn Jahren keiner vorbei. Denn das größte Fußball-Event der Welt – die WM 2034 – haben die Saudis quasi sicher. Alle anderen Bewerber haben zurückgezogen.
Autoren: Ramin Sina / Karin Feltes SWR
Stand: 21.04.2024 18:55 Uhr
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