So., 21.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Brasilien: Sauberes Trinkwasser dank Sonne
Es ist heiß, aber Julieta Cavalcante ist eine Frau, die nie klagt. Jeden zweiten Tag läuft sie 20 Minuten bis zu ihrem Brunnen. So war es schon immer. Aber immerhin findet sie hier ihr eigenes Trinkwasser: "Das Wasser ist gut, ganz natürlich…" 20 Kilo schwerer geht es dann wieder zurück. Für Wasser muss man hart arbeiten im ländlichen Flor de Bosques. Der Nordosten Brasiliens ist reich an Sonne, dafür arm an Wasser.
Die 120 Familien der Gemeinde glauben, dass es trinkbares Wasser ist, das sie aus dem Brunnen schöpfen. Aber wirklich wissen, tun sie das nicht. "Ich habe zwei Töchter und beide waren so sehr an Durchfall erkrankt, dass ich sie ins Krankenhaus bringen musste. Sie mussten mehrere Tage dort bleiben", erzählt Julieta Cavalcante. Die 56-jährige Landwirtin gehört zu den 35 Millionen Menschen in Brasilien, die keinen Zugang zu Trinkwasser haben, weder aus dem Brunnen noch aus dem Wasserhahn. Das kann so nicht bleiben hat sich Anna Luisa Bezerra gedacht. Und hat eine Lösung für das Problem gesucht und gefunden – vielmehr erfunden: "Ich nutze die natürliche Kraft der Sonne, die es hier reichlich gibt als Lösung für das größte Problem der Menschen: Die unreines Wasser trinken, oft ohne es zu wissen."
Sauberes Trinkwasser? Manche sind skeptisch
Nur 15 Jahre ist sie alt, als Anna "Aqualuz" erfindet. Ein System, das Wasser mit der Kraft der Sonne desinfiziert. Und auch sonst sind die Mittel, die sie der skeptischen Julieta vorführt ziemlich einfach: "Die Fische in meinem Brunnen fressen doch den Dreck weg." "Und sie machen Kaka." "Ja, ja." Im Idealfall kommt Regenwasser in die Wanne, zur Not Brunnenwasser. Dann das Glas drauf zum Schutz gegen Schmutz. "Der Sensor ist jetzt schwarz und in etwa vier Stunden ist er rot und dann ist das Wasser fertig", erklärt Anna Luisa Bezerra.
Die Sonne erhitzt das Wasser, aber es sind die UV-Strahlen, die die Mikroorganismen abtöten. Es braucht vier Stunden unter praller Sonne, um das Wasser zu desinfizieren. Anna nimmt eine Routine-Probe für das Labor. Aber schon die Erfahrung zeigt: Julieta hat jetzt Trinkwasser sowie 20.000 weitere Menschen, die Aqualuz bereits erhalten haben. "Die Lebensqualität so vieler Menschen mit unserer Unterstützung zu verbessern, ist die größte Befriedigung – nicht nur für mich, sondern für das ganze Team", sagt die Erfinderin.
Es sind Unternehmen, die sich sozial engagieren wollen, die, die Geräte bezahlen. Auf ihrem weiteren Weg erwartet Anna eine kleine Überraschung. Sie fahren zu Nadlo Laurinio, der hat sein Aqualuz schon vor zwei Monaten erhalten. Die 26-jährige will wissen, wie es läuft. Die Antwort ist: Gar nicht. Nadlo hat sein Aqualuz nicht benutzt: "Ich habe auf den Moment gewartet, es noch einmal zusammen zu machen. Ich wollte meine letzten Zweifel ausräumen." "Viele haben Hemmungen, eine Technik zu nutzen, in der sie Wasser jeden Tag über Stunden in die Sonne stellen. Das sorgt für etwas Akzeptanzprobleme und viele verbinden ihre Krankheiten wie Durchfall auch nicht mit dem schlechten Wasser, das sie trinken", erklärt Anna Luisa Bezerra.
Dabei hat Naldo tatsächlich größte Zweifel, wie es um sein Brunnenwasser steht und er ist dankbar, dass Anna einen Test macht, der eine eindeutige Antwort bringen wird. Anna redet lieber über ultraviolette Strahlen als über sich selbst.
Ein Konzept, das auch auf der großen Bühne Anerkennung findet
Auf der wichtigsten Innovationsmesse Brasiliens in Rio de Janeiro erzählt sie, von der Notwendigkeit Trinkwasser für jeden Menschen auf dem Planeten zugänglich zu machen. Unter anderem die Vereinten Nationen haben sie zum "Young Champion of the Earth" gekürt. Und heute gibt es noch einen Preis. "Ich hoffe, dass mehr Sichtbarkeit dazu führt, dass wir mehr Unterstützung finden, um gemeinsam noch mehr Menschen zu helfen", sagt sie.
Das Hauptquartier des Start-Ups ist Annas Wohnung in der Hafenstadt Salvador. Die Meetings – in der Regel virtuell. Die Testergebnisse aus der Gemeinde Flor de Bosque sind gekommen. Wie steht es um die Wasserqualität von Naldos Brunnen? "Die Probe ist hochgradig verunreinigt. Sie hat eine starke Färbung, ist trüb und stinkt", sagt Claudia Andrade. Das Wasser, das bei Julieta mit Aqualuz desinfiziert wurde, ist dagegen tatsächlich sauberes Trinkwasser. "Jedes Leben ist wichtig, dafür arbeiten wir. Für Familien wie die von Julieta, von Naldo. Sie motivieren uns allen Widerständen zu trotzen, die da kommen mögen", erzählt die Erfinderin.
Zurück in Flor de Bosque zapft Naldo Laurinho sein Trinkwasser. Es ist mit 60 Grad zu heiß, um es direkt zu trinken: "Ich tu das jetzt in den Kühlschrank und trinke es ab jetzt sorgenlos."
Julieta Cavalcante lädt zum Essen ein. Und ja, sie will das Aqualuz nun auch nutzen, sagt sie. Aber heute gibt es hier Kokoswasser, da kommt das Wasser ganz sicher sauber aus der Nuss.
Autorin: Xenia Böttcher / ARD Rio
Stand: 21.04.2024 18:30 Uhr
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