So., 21.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
England: Widerstand gegen Wasserkonzerne
Eigentlich ist Whitstable ein idyllischer Bade- und Hafenort, nur anderthalb Stunden östlich von London, weshalb die kleinen Strandhütten hier pro Stück um die 70.000 Euro kosten. Das Ganze hat nur einen Schönheitsfehler, den man allerdings nicht sehen kann: Es stinkt. Denn wann immer es stark geregnet hat, leiten die Wasserfirmen ungefilterte Fäkalien in den Hafen und damit ins Meer. Für die Fischer wie Graham, die hier die berühmten Whitstable Austern züchten und verkaufen, ist das ein Riesenproblem. "Das ist eine unglaubliche Sauerei, jedes Mal wenn es regnet, passiert das. Wir sind Fischer, wir brauchen sauberes Meerwasser", erzählt Graham West.
Seine Austern kann er so nicht mehr direkt verkaufen, er muss sie jetzt mindestens 72 Stunden lang reinigen, ein vorgeschalteter Filter desinfiziert das Meerwasser, damit die Fäkalienreste aus den Austern herausgespült werden. Ein Riesenaufwand. "Das kostet mich deutlich mehr Geld, Strom, mehr Zeit und ich kann insgesamt viel weniger Austern hier durchlaufen lassen. Früher hab ich in einer Woche hier 40.000 verkauft", sagt der Fischer. Heute sind es maximal 5000 pro Woche, auf Dauer überleben kann er so nicht, sagt er uns. Noch weit dramatischer ist die Lage am Strand. Überall wo diese auf den ersten Blick unschuldigen Hütchen aus dem Wasser ragen, sind Abwasserrohre verborgen, aus denen die vor Jahren privatisierten Wasserfirmen ganz legal Exkremente ins Meer leiten dürfen, wenn das Abwassersystem überlastet ist.
Eine unsichtbare Gefahr
Ed und Catherine sind Mitglieder einer lokalen Initiative, die das ändern will. Sie inspizieren die Rohre regelmäßig, denn die Genehmigung dafür gilt eigentlich nur für seltene Ausnahmesituationen. "Wenn es stark geregnet hat, dann darf der Dreck eingeleitet werden, weil sich sonst das Abwasser in die Häuser zurückstaut. Aber diese Genehmigung war nur für extremes Wetter, vielleicht acht Mal im Jahr, jetzt aber haben wir es alle zwei Wochen, mindestens", erzählt Catherine Chapman. Und selbst heute, bei normalem Wetter und Sonnenschein, kommt aus dem Rohr eine ekelhaft stinkende braune Brühe raus: "Die Rohre sind so verdreckt, das da jetzt eigentlich immer Fäkalien und Exkremente rauskommen."
Die richtig großen Sauereien, erklären sie mir, passieren aber immer bei Flut, damit sie möglichst unbemerkt bleiben. Bilder, wie hier aus Whitstable, gibt es so ähnlich von lokalen Protestgruppen aus ganz England. Gelegentliche Strafzahlungen stecken die Firmen locker weg. Allein im Jahr 2023 wurde offiziell 400.000 Mal derart ungereinigtes Abwasser in Flüsse und ins Meer abgelassen. Und das auf einer Insel, deren Bevölkerung bei jedem Wetter, auch im Winter, ins Meer geht.
Wie die "Blue Tits", Frauen, die sich seit der Pandemie regelmäßig am Strand treffen, um physisch und vor allem mental fit zu bleiben. Das kalte Wasser hilft gegen alles, sagen sie, gegen Angstzustände und Arthritis. "Mir ist es das Risiko wert, ich halte den Mund über Wasser, und ich selbst bin bislang auch noch nicht krank geworden", sagt Imogen. Und ab geht’s, bei neun Grad Wassertemperatur. Blue Tits heißen sie nicht umsonst. "Kopf immer schön oben halten.." "Aber es ist nicht fair, dass wir nicht richtig eintauchen können, nur weil die Wasserfirmen machen, was sie wollen. Vor allem wenn wir unsere Kinder im Sommer mitbringen."
Beim Aufwärmen in ihrer Strandhütte danach aber kommt auch das tiefe Gefühl der Machtlosigkeit durch, das immer mit hinter der englischen Unverwüstlichkeit steckt. Da die Wasserfirmen erklärt haben, eine Reparatur der Rohre dauere Jahre, bleibt ihnen nur, sich damit vorerst zu arrangieren. "Wenn du dir in diesem Wasser Ecoli-Bakterien einfängst, dann bist du nicht nur kurz krank, sondern das kann sich festsetzen und immer wieder kommen. Das heißt, vor der Hochzeit meine Tochter z. B. werd ich die zwei Wochen davor sicher nicht reingehen, um nicht krankzuwerden", sagt Anne.
Kein sauberes Wasser – kein Geld
Es gibt in Whitstable aber auch Frauen, die keine Kompromisse mehr machen wollen, wie Elaine. Sie, eher unenglisch, boykottiert seit neuestem ihre Wasser-Rechnung: "Ich habe gezahlt, seit die Wasserversorgung in den 90ern privatisiert wurde, die Firmen haben das alles damals schuldenfrei übernommen. Wir haben jahrelang geblecht, damit sie in die Infrastruktur investieren und sie haben einfach nichts gemacht. Warum sollte ich dafür jetzt nochmal zahlen?" Bislang sind es nur einige wenige, die so radikal sind, aber Elaine reichte es, nachdem die Rechnungen jetzt auch noch drastisch erhöht werden sollen. "Ich bin nicht der Typ, der ins Gefängnis möchte, oder den Gerichtsvollzieher vor der Tür haben will." "Aber das wär's Ihnen wert?" "Ja, weil wir etwas ändern können, noch ist es nicht genug, aber wenn wir alle nicht mehr zahlen, dann können wir sie irgendwann schlagen."
Noch ist der Kreis der aktiven Widerständler ein kleiner, ein lokaler Künstler hat ihnen am Strand ein Denkmal gesetzt, aus Beton. Denn wenn sie hier einmal wütend werden, hält sich das. Ihre Forderung: Die Wasser-Firmen müssen wieder verstaatlicht werden. "Und zwar ohne dass die Aktionäre nochmal absahnen, die haben in den letzten Jahren Milliarden bekommen. Deshalb sind die Firmen auch jetzt so verschuldet. Wir sind quitt, Leute", sagt Catherine. "Warum sollte jemand überhaupt Geld machen mit unserem Wasser? Demnächst werden sie uns noch die Luft verkaufen, die wir atmen, wenn wir sie lassen", findet Elaine.
Tatsächlich haben die privaten Wasserbetreiber seit den 90ern mehr als 70 Milliarden Euro an zufriedene Aktionäre weitergegeben, während das Land heute buchstäblich im Dreck versinkt. Bis die Briten hier wieder sorgenfrei baden können, wird es Jahrzehnte dauern. Und selbst wenn der Staat das marode System jetzt wieder übernehmen würde, einen Großteil der Kosten müssten am Ende dann doch wieder die Steuerzahler tragen.
Autorin: Annette Dittert / ARD London
Stand: 21.04.2024 18:54 Uhr
Kommentare