Mo., 23.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Saudi-Arabien: Aufbruchsstimmung im Königreich
Saudi-Arabien kämpft um die Vorherrschaft in der Region genauso wie der Iran. Der Staat baut auf die Einnahmen aus dem Rohöl. Nach wie vor. Aber zunehmend bereitet sich Saudi-Arabien auf eine neue Zukunft vor. Eine wirtschaftliche Zukunft, in der die Bevölkerung selber arbeiten muss und nicht mehr vor allem durch den Staat unterstützt wird.
Eine vorsichtige Öffnung des Landes ist da eine Grundbedingung. Ab Juni dürfen Frauen Auto fahren und junge Menschen, wie das Ehepaar Sarry Shaaban und Salma Ghalayini hoffen jetzt auf einen wirtschaftlichen Aufbruch.
Nein, Bescheidenheit ist sein Ding nicht. Sarry Shaaban mit einem seiner nicht ganz billigen Spielzeuge. Seine Familie hat ein Vermögen mit Immobilien und Lebensmittel gemacht. Der 45-Jährige liebt den westlichen Lebensstil, Pomp und Luxus, hat in Kalifornien studiert, die Welt bereist. Die Rückkehr nach Saudi-Arabien allerdings fällt ihm in der Regel nicht ganz leicht. "Es ist wie beim Apfel vom Baum der Erkenntnis. Wenn Du reinbeißt, also im Ausland lebst, viel reist, dann zurückkommst und siehst, wie es hier läuft, fängst Du an zu vergleichen. Wie ist der Lebensstil, die Einstellungen, die Dienstleistungen hier und dort. Man fragt sich, warum habe ich dieses und jenes nicht auch hier?" In seiner Heimat Jeddah immerhin weht ein Hauch von Freiheit. Die Wirtschaftsmetropole am Roten Meer gilt als liberalste Stadt im erzkonservativen Königreich. Doch selbst hier steht das Leben fünfmal täglich für Gebete still, sind Alkohol, laute Musik tabu, haben Frauen so gut wie nichts zu melden.
Hoffen auf das Geschäft jenseits des Öls
In dieser Männerwelt fällt Salma Ghalayini ein wenig aus dem Rahmen. Die selbstbewusste Zahnärztin verdient ihr eigenes Geld. Alles andere als selbstverständlich. Nur etwa jede vierte Frau hat einen Job in Saudi-Arabien. Meist sind es klischeebehaftete Berufe. "Viele Patienten gehen lieber zu einer Zahnärztin. Sie hängen dem Mythos nach, dass unsere zarten Hände ihnen weniger Schmerzen zufügen als die von Männern. Und was mein Spezialgebiet, die Zahnkosmetik, angeht, glauben sie einfach, dass Frauen besser mit Schönheit, Formen und Farben umgehen können."
Kopftuch und schwarzer Umhang sind ihre Sache nicht. Bikini allerdings ist auch für sie tabu. Ihrem Mann Sarry fällt eigentlich die Rolle ihres Vormunds zu. Tatsächlich aber führt das Jetset-Paar eine Ehe auf Augenhöhe. Beim Tauchgang des Gatten freilich bleibt Salma lieber auf sicherer Distanz. Unberührte Korallenriffe, Schiffswracks, seltene Fischschwärme fernab von Massentourismus. Ein atemberaubendes Erlebnis, womöglich mit Verfallsdatum. Saudi-Arabien öffnet sich behutsam, stellt seit April Touristenvisa aus, hofft auf das ganz große Geschäft jenseits des Öls. Für die noch immer machtvollen Konservativen im Land freilich ist das ein Graus. "Ja, wir hatten da Probleme in der Vergangenheit", meint Sarry Shaaban. "Jetzt geht es endlich voran. Wir öffnen uns und wir heißen jeden willkommen. Natürlich sind wir anders, ganz klar. Aber wir sind auch nicht verkehrt."
Revolution auf Raten
Für Frauen löst sich nach Jahrzehnten der Unterdrückung manche Fessel. Seit kurzem dürfen sie auch ohne männlichen Vormund reisen, ins Stadion gehen, Verträge schließen, ab Juni dann auch Autofahren. Endlich. "Mich hat das Fahrverbot sehr eingeschränkt", sagt Salma Ghalayini. "Ich fühle mich, als ob sie mir Flügel zum Fliegen gegeben hätten. So ist es auf fast jedem Gebiet. Wann immer ich Papierkram bei Behörden habe, erfahre ich jetzt auch Respekt." Es ist eine Revolution auf Raten. Verordnet von oben. Das absehbare Ende vom Öl zwingt das Königreich zum Umsteuern. Offene Märkte, mehr Eigeninitiative, neue Jobs.
Für Geschäftsleute wie Sarry ist es Chance und Risiko. Er betreibt vier Burger-Restaurants in Jeddah. Amerikanischer Stil, saudische Gewürze. Das Geschäft lief gut, bis der Ölpreis einbrach, Steuern und Abgaben drastisch stiegen. Für ihn der falsche Weg. "Wir spüren einen Einbruch von 30 bis 40 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Viele Ausländer haben das Land verlassen. Die Kaufkraft ist wegen all der neuen Steuern deutlich niedriger." Ein holpriger Start in eine neue Zeit. Und doch herrscht Aufbruchsstimmung im autokratisch regierten Königreich. Sarry und seine Freunde vom Harley-Davidson-Club spüren ein Gefühl von Freiheit. Und zwar längst nicht mehr nur auf ihren schweren Maschinen in den Straßen von Jeddah.
Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo
Stand: 03.08.2019 01:05 Uhr
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