So., 31.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Singapur: Nachfolger für Garküchen gesucht
Die Garküchen Singapurs sind berühmt und könnten bald als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt werden. Meist wurden sie von Migranten z. B. aus China gegründet, jeder Stand hat seine eigene Spezialität. So wie der von Li Ruifang. Sie hat die Garküche von ihren Eltern übernommen. Ihre Spezialität: Garnelen-Nudeln.
Es ist ein harter Job, sagt die 34-jährige. Das ist dann wohl auch der Grund, warum immer weniger junge Menschen die Tradition der Garküchen fortführen wollen. "Die meisten Leute wollen inzwischen lieber in Restaurants arbeiten. Deshalb sieht man nur wenige junge Leute, die Straßenköche sind." Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Wenn Li Ruifang ihren Tag beginnt, sind viele Nachtschwärmer gerade erst gegangen. Morgens halb drei. Li und ihre Eltern haben eine Garküche in einem Hawker-Center, einer Markthalle für Straßenköche. 6.000 Hawker gibt es in Singapur, ein echtes Markenzeichen. Doch die 34Jährige ist eine Ausnahme zwischen all den Köchen, die fast schon im Rentenalter sind. "Die meisten Leute wollen inzwischen lieber in Restaurants arbeiten. Deshalb sieht man nur wenige junge Leute, die Straßenköche sind."
Li’s Spezialität: Garnelen-Nudelsuppe: Fast vier Stunden braucht sie für die Zubereitung. Das Rezept ein Familiengeheimnis. Ihr Großvater hat es einst als Einwanderer aus China mitgebracht. "Er ist in den 1930ern nach Singapur eingewandert und hat direkt am Straßenrand gekocht. Damals hatte man eine lange Stange zum Tragen über der Schulter und musste selbst das Gas für den kleinen Herd mitschleppen."
Eine riesige Geschmacks-Vielfalt
Aus hygienischen Gründen mussten die Straßenköche später in solche halboffenen Gebäude ziehen. Die Hawker-Stände sind oft Familienbetriebe. Auch Lis Eltern, beide Ende 60, schneiden hier Chili und Garnelen. Sie waren dagegen, dass ihre Tochter auch kocht. Mit ihrem Abschluss in Betriebswirtschaft könnte sie schließlich ebenso gut in einem schicken Büro mit Aussicht sitzen. "Die Arbeit hier ist einfach zu hart", klagt Goh Kwee Lee, die Mutter. "Die Hitze, das Stehen. Das geht auf den Rücken und die Beine."
Kurz vor Sonnenaufgang. Frühstück. Li hatte mal einen Schreibtischjob und geregelte Arbeitszeiten. Doch Erfüllung hat sie erst hier gefunden zwischen Kochtöpfen und Garnelensud. "Wir hier in Singapur glauben daran, dass es wichtig, mit Leidenschaft zu kochen. Wenn Du Dir keine Mühe gibst, dann schmecken das die Leute." Die Konkurrenz ist groß. Umgerechnet 2,50 Euro kostet eine Portion. Da muss man scharf kalkulieren, sagt Li. Viele spezialisieren sich auf wenige Gerichte. "Gutes Essen liegt in unseren Genen", meint ein Kunde. "In Singapur leben so viele unterschiedliche Ethnien wie Malaien, Inder, Chinesen. Das sorgt für eine riesige Geschmacks-Vielfalt. Das ist schon sehr angenehm."
Suppenkelle auf Suppenkelle. Li’s Garnelen-Nudeln treffen offensichtlich den Geschmack. Die Hawker sind die Groß-Kantinen Singapurs. Vom Manager über den Müllfahrer bis zur Krankenschwester. Alle essen hier. "Ich mag diesen authentischen Geschmack, sehr traditionell, irgendwie ein bisschen altmodisch", findet eine Kundin. "Das bekommt man sonst kaum noch und es ist so erschwinglich."
Den halben Tag in der Küche
Um 14 Uhr ist letzte Portion verkauft. Li muss jetzt noch ihre Lieferung nebenan auf dem Markt bezahlen. 12 Stunden ist sie jetzt auf den Beinen, zufrieden, aber auch völlig fertig. "All diese vielen Stunden gehen auf die Knochen und Gelenke. Das merke ich schon. Das ist hart. Deswegen versuche ich Hilfe zu bekommen, damit ich mich mehr ausruhen kann."
Zeit zum Ausruhen und für die Familie. In einer der vielen Hochhaus-Siedlungen von Singapur hängt Lis Mann Kris die Wäsche auf. Für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er arbeitet von zu Hause, kann sich seine Zeit frei einteilen, während seine Frau morgens um zwei Uhr die Wohnung verlässt und oft erst gegen 16 Uhr zurückkommt. "Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass sie es schafft, 14 Stunden in ihrer Garküche zu verbringen", lobt Ehemann Kris Tan. "Ich habe da mal ausgeholfen, als ihre Eltern zwei Tage im Urlaub waren. Das war echt hart. Ich gebe zu: für mich persönlich wäre das nichts."
Viele junge Leute geben den Job als Hawker schnell wieder auf, sagt Li. Doch auch sie wünscht sich mehr Freiräume. Mit ihrer Tochter Kyra gemeinsam Wellensittiche fliegen zu lassen, das kommt ihr oft viel zu kurz. "In der Generation meines Vaters war es üblich sich ganz auf den Job zu konzentrieren. Er hat nicht viel Zeit mit uns verbracht. Meine Generation dagegen schwört auf Work-Life-Balance. Deshalb schließe ich meinen Suppen-Stand jetzt an zwei Tage pro Woche. Das machen nur wenige." Während Li mit ihrer zweijährigen Tochter zählen übt, kümmert sich Kris um die Buchhaltung und sucht nach Mitarbeitern für seine Frau. Nicht so leicht, denn viele Singapurer wollen lieber einen Job im Büro.
Keine Nachfolger für die Straßenküchen
So oft wie möglich gehen sie am Wochenende essen – zum Hawker Center um die Ecke natürlich. Im Moment lassen sich Li und ihr Mann dabei gerade einen neuen Plan auf der Zunge zergehen. Sie wollen expandieren. Ein Unternehmer aus Südkorea will, dass sie Li ihre Garnelen-Suppe auch in Seoul verkauft. Vollmundige Aussichten für sie selbst, doch um Singapurs Hawker Kultur macht sich Li große Sorgen. "Vielleicht wird es die Straßenküchen irgendwann nicht mehr geben. Aber ich werde unsere Tochter oft hierher zum Essen bringen, damit sie sich die Kultur zu eigen macht." Und Kris Tan sagt: "Ich glaube, die Leute merken jetzt noch nicht, dass immer mehr Straßenköche keine Nachfolger mehr haben. Aber das könnte sich ändern, wenn unsere Tochter groß ist. Und wenn sie sich dann entscheidet, Hawker zu werden, trifft sie auf eine Marktlücke und könnte eine echte Zukunft in dem Gewerbe haben." Und diese Hoffnung zwischen chinesischem Weißkohl und Mie-Nudeln ist eine ganz nach ihrem Geschmack.
Stand: 31.03.2019 21:14 Uhr
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