So., 16.02.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Sudan: Die vergessenen Löwen
Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Haut und Knochen nach Wochen ohne Futter. Heute ist Kendaka wieder auf den Beinen. Noch immer schwach und dünn, fast blind. Aber zurück im Leben und voller Neugier. Eine Kämpferin. Auch wenn Narben bleiben, die von ihrem Leid erzählen.
Gruseliger Mini-Zoo im Park
Er hat sie gerettet. Osman Sali schlendert Mitte Januar durch einen Park von Khartum, entdeckt rein zufällig in einer Ecke diesen gruseligen Mini-Zoo. Wilde Tiere auf wenigen Quadratmetern zusammengepfercht, ohne jede Fürsorge. Hyänen, Adler, Echsen und auch fünf Löwen. Drei von ihnen völlig ausgezehrt. Kendaka scheint dem Tod geweiht. Osman ist fassungslos.
"Man konnte gar kein Fett, keine Muskeln mehr sehen. Sie war ein Skelett am Boden, konnte sich nicht mehr bewegen. Der Käfig war extrem dreckig. Es war traurig, sie so zu sehen", erzählt Osman Sali, IT-Spezialist.
Osman konfrontiert den Betreiber des Tierparks. Der reagiert kühl. Das Futter sei ihm ausgegangen. Und schließlich würden ja alle leiden im Sudan. Für den 35-jährigen Familienvater nichts weiter als eine dumme Ausrede, wie er uns erzählt.
"Es ist nicht fair, so etwas zu sagen. Anders als die Menschen sind die Löwen in einem Käfig gefangen. Sie können nicht raus, um Hilfe bitten, einkaufen, nicht einmal auf der Straße betteln gehen", so Osman Sali.
Tiere werden zum Symbol für Leid und Hunger im Sudan
Zu Hause greift der IT-Spezialist in die Tasten, lädt die Fotos hoch. Auch seine Frau und Kinder sind geschockt. Gemeinsam wollen sie die Löwen retten. Irgendwie. Auf Facebook löst sein Post Empörung aus. Hunderte Kommentare in wenigen Stunden. Die Tiere werden zum Symbol für Leid und Hunger im Sudan. Aber auch für die Entschlossenheit, dagegen anzugehen, sie nicht allein zu lassen. "Ich war überwältigt. Ich konnte mit dem Druck nicht umgehen. Es waren einfach zu viele Nachrichten. Ich musste mein Handy auf lautlos schalten, weil es permanent klingelte und ich mich darauf konzentrieren wollte, das Problem zu lösen", erzählt Osman Sali.
Es werden hektische Tage für Osman. Er pendelt durch Khartum, organisiert Futter, Medikamente, nimmt Kontakt mit der Regierung, Tierschutzorganisationen auf und erlebt enorme Hilfsbereitschaft. Trotz Armut, Not und Mangel im Sudan. Die Wirtschaftskrise lähmt das Land. Kilometerlange Schlangen vor den Tankstellen, das Benzin ist knapp. Auch Medikamente fehlen, Jobs, Perspektiven.
"Ich muss von morgens bis abends Taxi fahren, um über die Runden zu kommen und etwas Geld für meine Hochzeit zur Seite zu legen", sagt Kassem Mohamed Ahmed Ibrahim, Taxifahrer.
Alle wollen den Löwen helfen
Es ist das Erbe von 30 Jahren Diktatur und Vetternwirtschaft. Das Volk hat das Regime zu Fall gebracht. Nach monatelangen Massenprotesten. Militär und Opposition haben sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt und auf einen Fahrplan für Neuwahlen. "Ich liebe mein Land sehr. Und ich habe tatsächlich die Hoffnung, dass die Dinge jetzt besser werden", hofft Osman Sali. Bei den Menschen ist vom Wandel allerdings noch nicht viel angekommen. Für Brot müssen sie Schlange stehen, oft stundenlang. Das Geld sitzt knapp, die Preise steigen. Und doch sehen viele nun endlich Licht am Ende des Tunnels.
"Ich bin optimistisch. Wenn die Menschen zusammenstehen, entsteht Gutes. Unser Land hat reichlich Bodenschätze. Drei Flüsse, fruchtbaren Boden. Damit können wir den ganzen Sudan versorgen", erzählt Hamdi Abdel Kader.
Stolz, Solidarität, Zuversicht. Das spüren sie auch im Tierpark. Nach Osmans Posts stapeln sich dort Fleisch und Futter. Freiwillige Helfer bereiten spezielle Kost für die abgemagerten Löwen zu. Hackfleisch, Katzenfutter, Vitamine, Proteine, Antibiotika.
Teamarbeit mit Happy End
Amir Khalid von der Organisation 'Vier Pfoten' bietet Hilfe an, fliegt ein aus Wien. Der Tierarzt ist spezialisiert auf Notfalleinsätze. Einen solchen allerdings hat er noch nie erlebt in 30 Jahren. Zunächst ist der Ägypter skeptisch, ob die Löwen überleben können. Nach und nach aber fassen sie Vertrauen, nehmen Nahrung an und entwickeln sich prächtig.
"Sie haben fast zwei Drittel ihres Körpergewichts verloren damals, die Überlebenschance war null Prozent. Ich bin so glücklich, es sind jetzt 90 Prozent, auch die Muskeln sind sehr gut, das Immunsystem. Ich bin glücklich, das war eine Teamarbeit. Vor allem die Löwen selbst, die wollen leben", so Amir Khalid, Tierarzt.
Eine Teamarbeit mit Happy End. Und ein Beweis von Menschlichkeit auch gegenüber Tieren, wie Amir Khalid und Osman Sali glauben.
"Ich bin so erleichtert, dankbar, glücklich über das, was wir erreicht haben. Sie schaut nun endlich wieder aus wie eine Löwin", sagt Osman Sali.
Die Regierung will nun ein Gelände vor den Toren der Hauptstadt für die Tiere zur Verfügung stellen. Artgerecht mit reichlich Auslauf. Osman und Dr. Amir sind von den Plänen angetan. Alle ziehen jetzt an einem Strang. Es ist eine Geschichte, die hoffen lässt, für die Löwen, aber auch das ganze Land. Ein Land im Umbruch.
Autor: Daniel Hechler/ARD Studio Kairo
Stand: 16.02.2020 20:27 Uhr
Kommentare