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Südkorea: Abkehr von den Männern

Südkorea: Abkehr von den Männern | Bild: Ulrich Mendgen, ARD Tokio

Frauen erobern die Straßen von Seoul: Kämpferischer Optimismus mischt sich mit bitterer Wut: sie fordern Anerkennung inmitten einer politischen Krise in Südkorea.
Die 31-jährige Joohee Kim verbringt gerade viel Zeit auf politischen Demonstrationen. In ihrem Land ist viel in Bewegung geraten: Aus ihrer Sicht ist die Zeit gekommen, das Ruder im männerdominierten Südkorea herumzureißen: "Die Anliegen von Frauen werden oft zur Seite geschoben. Aber so funktioniert das nicht mehr. Deshalb gefällt mir dieser Spruch: Keine Demokratie ohne Feminismus."

Traditionelle Rollenbilder dominieren.

Der Begriff Feminismus polarisiert in Südkorea auch in der Werbung: fürsorgende Hausfrauen, die glücklich die Wäsche machen, den ganzen Tag die Kinder umsorgen und dabei immer top aussehen – nicht die Welt von Joohee Kim, unverheiratet und ohne Kinder. Die gelernte Krankenschwester engagiert sich für bessere medizinische Versorgung von Frauen.
Sie bekennt sich offen zu einer Bewegung, die radikale Schlüsse zieht: keine Beziehungen, Ehe oder Sex mit Männer, und auch keine Geburt von Kindern - viermal "Nein", die sogenannte 4B-Bewegung.
Meldungen über Femizide, Morde an Frauen, haben Kim und ihre Mitstreiterinnen politisiert. An oberster Stelle steht für sie, die Gewalt gegen Frauen zu stoppen und den alltägliche Sexismus im Land, sogar an der Staatsspitze: "Der Präsident behauptet, dass es in Südkorea angeblich keine Geschlechterdiskriminierung gebe. Das kann ich unmöglich so stehen lassen."

Sie schreiben ihren Frust nieder: Der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen ist größer als jedem anderen Industrieländern. Sie werden immer noch in die traditionelle Rolle von Ehefrau und Mutter gezwungen, kritisiert Kim. Sie hat sich entschieden, aus diesem Muster auszubrechen: "Die 4B-Bewegung hat mein Leben von Grund auf verändert. Davor war mein Fokus ein anderer. Ich dachte, ich müsste auch eines Tages heiraten und mit einem Mann zusammenleben."

Aktion auf der Straße

Protest vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts, das in Kürze über die Amtsenthebung des umstrittenen Präsidenten entscheidet. Doch dessen Anhänger demonstrieren auch hier. Ausgerechnet hier fordern die beiden Frauen die Absetzung des Staatsoberhaupts. Das gerät zum Spießrutenlauf. Schon allein wegen kurzer Haare wurden in Südkorea schon Frauen angegriffen.
Ein Mann beginnt, sie zu filmen. Höhnisches Gelächter und Beschimpfungen prasseln auf sie nieder, auch von anderen Frauen. Dass es nicht noch schlimmer wird, verhindert wohl nur die Polizei. Das Plakat mit den Forderungen der Feministinnen hält sich keine 30 Sekunden.
Südkorea wird seit Monaten von einer Staatskrise erschüttert. Hinzu kommen seit langem ungelöste Konflikte: ein Land, in dem sich viele Paare lieber Hunde halten als Kinder zu bekommen, wo aber vor allem die Frauen für die niedrige Geburtenrate verantwortlich gemacht werden.

In diesem Café mit angeschlossener Sprachschule in Seoul gehören fast alle Mitarbeiterinnen der 4B-Bewegung an. Die feministische Autorin Mingyeong Lee hat das Unternehmen gegründet, auch mit dem Ziel, Frauen eine eigene wirtschaftliche Existenz zu ermöglichen. Der Fremdsprachenunterricht soll ihnen auch den Weg ins Ausland eröffnen, hinaus aus Südkoreas patriarchalischer Gesellschaft: "Manche kritisieren die Idee von 4B, keine Kinder zu haben. Aber ich denke, es geht um die persönliche Freiheit. Kinder zu bekommen oder nicht, ist doch eine individuelle Entscheidung. Wenn es das Thema einer sozialen Bewegung ist, dann wird es oft missverstanden, so als wollten wir anderen Vorschriften machen."

Südkoreas Frauenbewegung

Die Frauenbewegung in Südkorea ist vielfältig. Eine Stiftung in Seoul berät in Gleichstellungsfragen. Viele teilen die Kritik an frauenfeindlichen Lebensverhältnissen an der "gläsernen Decke", die den Aufstieg von Frauen in Wirtschaft und Politik verhindert. Aber von der 4B-Bewegung nehmen die meisten Frauen kaum Notiz. Die Prinzipien der Bewegung werden oft als zu streng und dogmatisch bewertet.

Eine Massenbewegung wird 4B in Südkorea wohl nie werden. Aktivistin Kim glaubt dennoch, dass sie und ihre Mitstreiterinnen viel erreichen können, ja müssen. Für sich persönlich sieht sie keinen anderen Weg. Überleben heißt für sie: Ein selbstbestimmtes Leben ohne Angst und Bevormundung zu führen.

Ulrich Mendgen, ARD Tokio

Stand: 16.03.2025 19:33 Uhr

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