So., 10.09.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Südkorea: Zocken nach Lehrplan
An einer Schule in Seoul ist den Kindern gestattet, was Gleichaltrigen im Rest der Welt meist verboten ist: Videospiele im Unterricht. Sie stehen sogar auf dem Lehrplan. Die Schule bietet E-Sports als Schwerpunktfach an. Drei Stunden täglich an Bildschirmen und in Gaming-Stühlen, so sieht ein Schultag für die E-Sport-Klasse der Eunpyeong Meditech Highschool aus. Danach geht es oft noch in ein "PC Bang", eines der öffentlichen E-Sports-Cafés, wo Jugendliche ohne störende Eltern ihrer Zocker-Leidenschaft nachgehen. Eine Karriere als Gaming-Profi verspricht im spieleverrückten Südkorea nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch beste Bezahlung. Doch nur eine schmale Elite schafft es wirklich bis nach oben. Eine Reportage aus dem Land der Gaming-Weltmeister.
Videospiel als Schulfach
Es geht nicht nur um Ruhm und Ehre. Es geht um viel Geld, wenn die Helden der Bildschirme in Südkorea in die Arena steigen. Allein die Sommerplayoffs der nationalen Gamer-Liga LCK in Seoul verfolgen 1,5 Millionen Zuschauer online. Zwei Teams mit jeweils fünf Spielern treten gegeneinander an. Das Preisgeld liegt bei umgerechnet 260.000 Euro. Der Bolzplatz der nächsten Generation liegt im virtuellen Raum. Zu sportlichen Höchstleistungen führt die Unpjong-Meditech-Highschool in Seoul ihre Schüler. Als eine der ersten Schulen in Südkorea, die das Training mit Videospielen zum Unterrichtsfach erhoben hat. Schüler wie der 17jährige Yoonho verbringen bis zu 19 Stunden pro Woche im Klassenraum des Leistungskurses. Auch der Lehrer hat Glaubwürdigkeit als Gamer. Jungjin Park hat früher selbst auf Profi-Niveau gespielt. Heute unterrichtet er den Nachwuchs. Ab der 10. Klasse werden E-Sports an dieser Schule als Schwerpunktfach angeboten, bis zum High-School-Abschluss in der 12. "Unsere Schüler spielen gerade auf einem sehr hohen Level. Die Besten gehören zu den Top 300 im Land. Einige sind sogar noch besser."
Wer sich im Leistungskurs durchsetzt, überzeugt meist auch die Eltern, die nicht selten in ihrer Jugend selbst gespielt haben. Viele Schüler hoffen auf einen Profi-Vertrag bei den Großen. Auch Yoonho Choe. Einer der häufigsten Berufswünsche in Südkorea. Die wenigsten können mit so viel Unterstützung rechnen. "Ich finde das schon hilfreich hier. Du hast die Chance, Dich zu verbessern." Abteilungsleiter Okshik Yoo hat das Fach ins Leben gerufen. Er hält es für pädagogisch wertvoll in einer Welt, in der sich alle Jungen für Top-Gamer halten. Sich einmal ernsthaft zu beweisen, darin liege der eigentliche Lerneffekt. "Sie sind noch Kinder. Sie können ihre Träume nicht so leicht aufgeben. Sie müssen es ausprobieren. Einige begreifen erst dann, dass sie gar nicht so gut sind. Dann fällt es ihnen aber leichter, sich für einen anderen Weg zu entscheiden."
Das große Ziel: die Profi-Karriere als Gamer
Nur die Hälfte eines Jahrgangs darf auch den Abschluss in E-Sports machen. Für all diejenigen, deren Träume schon geplatzt sind, hält die Schule eine Auffanglösung bereit. Der sogenannte "Medienkurs" mit Stunden in Grafik-Design für andere Berufsfelder in der digitalen Medienwelt. Auch die besten Gamer müssen die klassischen Schulfächer pauken. Für Yoonho ist das eher ein Störfaktor. Es gibt für ihn Wichtigeres als den Schulabschluss. "Ich möchte in der Schule zwar so weit kommen wie möglich. Aber ich habe das Gefühl, dass ich durch das Lernen zu viel Trainingszeit verliere. Deshalb denke ich darüber nach, von der Schule abzugehen."
Dem Lockruf der glanzvollen Profi-Welt in Südkorea zu widerstehen, das hat schon manchen Teenager überfordert. Immer wieder verlassen Schüler die High-School ohne Abschluss, wenn sie die Chance für einen Wechsel in eines der gut bezahlten Profi-Teams haben. "Wir Lehrer versuchen sie davon abzuhalten", sagt Okshik Yoo. "Aber es gibt eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Eltern ihre Kinder sogar darin bestärken abzugehen, wenn sie ein Angebot erhalten."
Der Wettbewerb ist knallhart
Er hat geschafft, wovon so viele in Südkorea träumen: Yoon-Su Jeong alias "Peter", wird seit drei Jahren fürs Computer-Spielen bezahlt. Dafür brach er im Alter von 17 Jahren die Schule ab. Mit heute 20 blickt er schon mit der Abgeklärtheit eines Älteren auf seine Mitbewerber. "Verglichen mit anderen kam mein Einstieg ins Profi-Geschäft sogar relativ spät. Das höre ich so von Leuten, die jünger sind als ich, und ihren älteren Brüdern."
Videospiele sind Volkskultur in Südkorea. Sie werden hier stärker anerkannt. Dank Tausender Online-Cafés gehören sie zum Alltag. Nach der Schule zum Zocken. Wer Profi werden will, muss Grenzen überschreiten. "Ich trainiere grundsätzlich ab 10 Uhr morgens. Das kann bis 4 bis 5 Uhr am nächsten Morgen gehen", erzählt Yoon-Su Jeong alias "Peter". "Wenn Du also ein professioneller Gamer in Korea werden willst, dann geht es gar nicht anders, als dass Du die Schule aufgibst."
Beim landesweiten Amateurwettbewerb, dem "Präsidenten-Cup", hat es Yoonho mit einem Team in die Endrunde geschafft. Das Turnier wird von der Regierung gefördert und gilt als wichtige Bühne für den Sprung ins Profi-Geschäft. "Gebt nicht auf, wenn ihr Euch kaputt fühlt", schwört der Trainer Yoonhos Team ein. Für die Jungen ist es Leidenschaft, für andere ein lukratives Geschäft. 250 Millionen Euro Jahresumsatz erzielt die E-Sports-Branche in Südkorea. Ein durch und durch kommerzialisierter Sport und ein knallharter Wettbewerb. Nur etwa 150 Spieler zählen zur Profi-Riege im Land. "Viele Neulinge spielen einfach nur den ganzen Tag, und dann wundern sie sich: Ich habe doch schon so hart gearbeitet, warum bin ich noch nicht weitergekommen?", sagt Trainer Gyeongtae Yoo. "Aber sie müssen eben auch clever spielen. Das müssen sie lernen." Yoonhos Team schafft es beim Turnier nicht ins Achtelfinale. Doch seine Träume kennen kein "Game Over". Vielleicht schon im nächsten Jahr will er auch Teil eines Profi-Teams sein, und in die große Arena steigen.
Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio-Tokio
Stand: 10.09.2023 22:52 Uhr
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